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Walther Kabel: Die „Rote Tinktur“. In: Deutscher Hausschatz, 42. Jahrgang, 20. Heft, S. 787–788

Erz) oder ein häufig vorgeschriebener eigenartiger Sand, wahrscheinlich das im Flußsand bisweilen vorkommende Zinnoxyd, zur Bereitung der Tinktur mit herangezogen worden, so mußte durch das am Ende des Prozesses vorgenommene Glühen der ganzen Masse auch eine kleine Menge Kupfer, Zink, Zinn u. dgl. ausgeschmolzen werden, die ja die stets beigemengten Substanzen wie Öle verkohlten und die Metalloxyde teilweise zu Metallen sich verwandelten. Diese geringfügigen Gewichte unedler Metalle verschmolzen mit dem Golde, und es entstand wegen des überwiegenden Goldes stets eine gelbe Goldlegierung, die somit etwas schwerer war als das anfangs verwendete Blattgold. So mußte der Gewichtszuwachs in dem achtsamen Alchimisten den Wahn von der Wandlung unedler Substanzen in Gold zeitigen. Denn hatte er einmal auch nur wenig Gold mehr erhalten, als er anfangs nahm, so war ja für ihn kein Grund einzusehen, warum gerade nur wenig unedles Metall sich in Gold umgestalten ließe. Seine begehrliche Phantasie log ihm nun vor, daß durch ein einfaches Gewicht Gold das tausend- und millionenfache Gewicht eines anderen Metalles veredelt werden könnte.

Diese Hoffnung war nun gar nicht so absurd, wie Professor Zsigmondy in neuester Zeit nachgewiesen hat. Die feinsten Goldkörnchen, wie sie sich in der „Roten Tinktur“ vorfinden, vermögen nämlich tatsächlich wie Kristallkeime zu wachsen, wenn man sie in ein besonderes goldhaltiges Gemisch tut. Allerdings gedeihen die Goldkeime nur in einem goldhaltigen Mittel, nicht, wie die Alchimisten glaubten, in einem goldfreien! Und hierin lag der schwere Fehler in den Kalkulationen der Adepten.

„Demnach,“‘ sagt Professor König, „bildet die rote Tinktur ein Problem, das man nicht kurzweg verlachen darf. Ehrliche Forscher waren es zumeist, die vor den Wandlungen des Goldes in gründurchscheinendes Blatt und Pulver, in rotes Öl, in braunen Stein, der sich wieder zur roten Tinktur auflöste und in grimmiger Glut wieder zu gutem Golde schmolz, staunend standen, Gründe ergrübelnd, die allerdings dem Reiche der Phantasie entstammten.“

Freilich ist diese rote Lösung auch häufig von Schwindlern mißbraucht worden, die goldgierige Fürsten, so z.B. Ludwig XIV. von Frankreich und den Kurfürsten August den Starken von Sachsen, durch ihre ersten Experimente in kleinem Maßstabe, die sie unter strengster Aufsicht ausführten und bei denen dann ja anscheinend wirklich mehr Gold aus der Retorte herauskam, als für das Anrühren der Tinktur verwendet worden war, völlig blendeten und zur Hergabe immer größerer Summen zu bewegen wußten, bis ihren Opfern dann eines Tages die Augen aufgingen und die leichte Einnahmequelle versiegte. Ebenfalls als Heilmittel wurde die „Rote Tinktur“ unter dem Namen „aurum potabile – Trinkgold“ – von Betrügern angewendet und besonders als lebenverlängerndes Elixier angepriesen.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die „Rote Tinktur“. In: Deutscher Hausschatz, 42. Jahrgang, 20. Heft, S. 787–788. Friedrich Pustet, Regensburg, Rom, New York, Cincinnati 1916, Seite 788. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Rote_Tinktur.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)