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Gottfried Keller: Kleider machen Leute. In: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage, Band 3

fragen: Und wohin gedachten Sie mit mir zu gehen und was zu beginnen? „Ich weiß es kaum, erwiederte er; ich hoffte auf weitere merkwürdige oder glückliche Dinge; auch gedachte ich zuweilen des Todes in der Art, daß ich mir denselben geben wolle, nachdem ich –“

Hier stockte Wenzel und sein bleiches Gesicht wurde ganz roth.

„Nun, fahren Sie fort“ sagte Nettchen ihrerseits bleich werdend, indessen ihr Herz wunderlich klopfte.

Da flammten Wenzels Augen groß und süß auf und er rief:

„Ja, jetzt ist es mir klar und deutlich vor Augen, wie es gekommen wäre! Ich wäre mit Dir in die weite Welt gegangen und nachdem ich einige kurze Tage des Glückes mit Dir gelebt, hätte ich Dir den Betrug gestanden und mir gleichzeitig den Tod gegeben. Du wärst zu Deinem Vater zurückgekehrt, wo Du wohl aufgehoben gewesen wärest und mich leicht vergessen hättest. Niemand brauchte darum zu wissen; ich wäre spurlos verschollen. – Anstatt an der Sehnsucht nach einem würdigen Dasein, nach einem gütigen Herzen, nach Liebe lebenslang zu kranken, fuhr er wehmüthig fort, wäre ich einen Augenblick lang groß und glücklich gewesen und hoch über allen, die weder glücklich noch unglücklich sind und doch nie

Empfohlene Zitierweise:
Gottfried Keller: Kleider machen Leute. In: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage, Band 3. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/76&oldid=- (Version vom 31.7.2018)