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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

steckt haben. Doch kaum waren sie auf der Straße, so erschien ihr Gesicht unter dem Gitterfensterchen, wo sie ihnen gräuliche Schimpf- und Drohworte nachrief. Doch sie hörten nichts davon, da sie genugsam mit sich selber beschäftigt waren und mit einem neuartigen Glücksgefühl, doch immerfort in tiefem Ernste, neben einander hingingen.

Jukundus hatte in einem Gasthause ein Pferd stehen, auf welchem er die ziemlich weite Strecke hergeritten war; Justine hatte mit einem Bruder verabredet, auf einem aus der Stadt kommenden Dampfboote an der nächsten Landungsstelle zur gemeinsamen Rückfahrt zusammenzutreffen. Sie verabredeten daher, sich am nächsten Morgen wieder zu sehen und zwar bei den Großeltern auf dem Berge bei Schwanau, wohin Jukundus sich in aller Frühe aufmachen sollte. Dort wollten sie den ganzen Tag zubringen und sich aussprechen. So gingen sie für heute von einander und blickten sich dabei treuherzig und innig in die Augen, aber immer im tiefsten Ernste.

Der folgende Tag war ein Sonntag, der mit dem schönsten Junimorgen aufging. Justine war mit der Sonne wach; sie rüstete und schmückte sich, als ob es zu einem Feste ginge, indem sie gegen ihre letzte Gewohnheit das Haar in reiche Locken ordnete, ein duftiges helles Sommerkleid anzog, auch den Hals

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/526&oldid=- (Version vom 31.7.2018)