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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

sie vorbrachten, sondern die alte harte und dürre Geschichte vom Sündenfall, von der Versöhnung Gottes durch das Blut seines Sohnes, der demnächst kommen werde, zu richten die Lebendigen und die Todten, von der Auferstehung des Fleisches und der Gebeine, von der Hölle und der ewigen Verdammniß und von dem unbedingten Glauben an alle diese Dinge. Das Alles erzählten sie wie etwas, das Niemand so recht und gut wisse, wie sie und ihre Gemeinde, und sie brachten es vor nicht mit der menschlich schönen Anmuth, die ihnen sonst innewohnte bei Allem, was sie thaten und sagten, sondern mit einer hastigen Trockenheit, eintönig und farblos, wie ein Auswendiggelerntes. Bei keinem Punkte wurden die Worte weicher und milder, nirgends die Augen wärmer und belebter, selbst das Leiden und Sterben Jesu behandelten sie wie einen Lehrgegenstand und nicht wie eine Gemüths- oder Gefühlssache. Es war eine wesenlose Welt für sich, von der sie sprachen, und sie selbst mit ihrem übrigen Wesen waren wieder eine andere Welt.

Dazu redeten sie, in einfältiger Nachahmung ihrer Prediger, unbeholfen und ungefällig, ja befehlshaberisch in Hinsicht auf das bei jedem zweiten Wort wieder geforderte Glauben.

Da sah Justine, daß die guten Frauen ihren Frieden wo anders her hatten, als aus ihrer Kirchen

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/518&oldid=- (Version vom 31.7.2018)