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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

mehr in demselben erschienen war, daß er auch Niemandem gemangelt und Niemand daran gedacht hatte, sich ihm mitzutheilen und seinen Trost zu hören.

Eine fröstelnde Empfindung durchschauerte sie, als sie ferner plötzlich bedachte, daß sie selber seit mehreren Monaten nicht mehr in der von ihr geschmückten Kirche gewesen sei. Sie stand still und suchte sich den seltsamen Zustand zurecht zu legen, aber es gelang ihr nicht in der Schnelligkeit. Um so rascher eilte sie wieder vorwärts, wie um Licht zu gewinnen.

Im Pfarrgarten traf sie die Gattin des Geistlichen, eine unbeachtete Frau, welche gelassen Petersilie pflückte, und vernahm von ihr, daß er soeben vom Besuche eines Sterbenden zurückgekehrt sei und etwas unwohl scheine. Doch möge Justine nur hinauf gehen, ihr Besuch werde ihn gewiß freuen. Unverweilt eilte sie nach seinem Studierzimmer und trat, wie sie gewohnt war, nach kräftigem Klopfen rasch ein.

Er saß erschöpft und bleich in seinem Lehnstuhl und stützte den Kopf auf die Hand. Als er sich wandte und aufstand, schien er ihr auch abgemagert und leidend zu sein.

„Sie sehen," sagte der Pfarrherr, nachdem er Justinen begrüßt, „daß ich auch nicht in guten Schuhen stecke, und das mag Ihnen erklären, warum

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/490&oldid=- (Version vom 31.7.2018)