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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

arme Arbeiterinnen solche im Hause suchten und fanden.

Die Sache wurde daher mit Entschiedenheit unterdrückt, Justine angewiesen, für ihre Bedürfnisse, wie früher, das Nöthige zu verlangen und sich keinen Zwang anzuthun; denn sie wisse ja, daß sie um diesen Preis nicht feil sei. Justine jedoch konnte in ihrem gefangenen Sinn nicht über die Frage hinwegkommen. Sie verfiel immer mehr in die kranke Sucht nach Selbständigkeit, welche die Frauen dieser Zeit durchfiebert wegen der etwelchen Unsicherheit, in welcher die Männer die Welt halten. Sie grübelte und brütete und entwarf zuletzt den Plan, anderwärts als Lehrerin ein Unterkommen zu suchen. Wenn sie dabei an die Hauptstadt mit ihren zahlreichen Schulanstalten dachte, so wirkte die stille Hoffnung mit, dort eher ihrem Manne wieder begegnen zu können, als im Elternhause, wo jetzt härter über ihn geurtheilt wurde, als früher, obwohl bekannt war, daß es ihm nun gut gehe.

Kaum war dieser Entschluß gefaßt, so zögerte sie nicht, ihn auszuführen, und begab sich zu dem Pfarrer, um dessen Rath und Vermittlung zu finden. Erst auf dem Wege nach dem Pfarrhof fiel ihr ein und auf, daß der geistliche Herr, der sonst ein Freund des Hauses gewesen, seit dem Unfall, der es betroffen, nie

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/489&oldid=- (Version vom 31.7.2018)