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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

sie wurden, desto ernster sah Jukundus aus, und nicht das leiseste Lächeln überflog sein trauriges Gesicht; er gedachte der Tage, wo er auch froh gewesen und harmlos sich des Lebens gefreut, und alles war dahin! Als nun der Wein den fröhlichen Gesellen immer mehr die Zungen löste und die Besonnenheit ersterben ließ, fingen sie an, ihre Schicksale und Thaten zu besprechen - und das Unrecht zu erzählen, das sie erduldet. Es erhob sich jedoch da oder dort ein Widerspruch des Einen gegen den Andern, oder die Auflehnung eines Dritten, die Einsprache eines Vierten, die nähere Erläuterung eines Fünften, woraus ein wirrer Lärm gegenseitiger Vorwürfe und Anschuldigungen wurde und für den unbefangenen Zuhörer sich ergab, daß es sich um ein ziemlich ausgebreitetes und verknotetes Gewebe von geringen, wenig rühmlichen Verrichtungen handelte, wegen welcher Alle sich gegenseitig die ausgezeichnetesten Spitzbuben schalten, und zwar in einer so künstlichen Durch- und Ueberkreuzung, daß wenn man, etwa nach Art der Chladni'schen Klangfiguren, ein sichtbares Bild davon hätte machen können, dieses die schönste Brüsseler Spitzenarbeit dargestellt hätte, oder das zierlichste Genueser Silberfiligran, so wunderbar und mannigfaltig sind Gottes Werke.

Jukundus bemühte sich, zuerst aus Liebe, dann

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/475&oldid=- (Version vom 31.7.2018)