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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

als ob Nichts geschehen wäre, erkannte Jukundus endlich seine Lage und seine völlige Vereinsamung.

Am gleichen Tage wurde ihm auch seine Erkenntniß bestätigt.

Justine war auf den Abend in's Pfarrhaus eingeladern, wo der Pfarrherr eine Abhandlung über die zeitgemäße Wiederbelebung und Erneuerung der Kirche durch die Künste vorlesen wollte, ein Thema, welches sie sehr ansprach und auch nach Maßgabe der kleinen Verhältnisse schon beschäftigte. Jukundus seinerseits verhielt sich kühl in dieser Sache und liebte, so wenig als möglich in der Sprechweite des Geistlichen zu weilen. Doch hatte er, da es ein dunkler Herbsttag war, versprochen, die Gattin abzuholen.


Der Pfarrer stand auf der äußersten Linie der Streiter für die zu reformirende Kirche, die religiöse Gemeinde der Zukunft. Die Jugendjahre hindurch hatte er im Allgemeinen freisinnig und schön gepredigt, so daß die Heerden, die er gehütet, sehr erbaut, wenn auch nicht durchaus klar waren, auf welchem Boden sie eigentlich standen. Unter dem Schutze der weltlichen Macht und nach dem Beispiel altbewährter Führer hatte das jüngere Geschlecht die freiere Weltbetrachtung

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/441&oldid=- (Version vom 31.7.2018)