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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

verliebt und zugleich in Sorgen, wie das nun enden würde.

Bei der Abendtafel erhöhte sich die glückliche Stimmung wo möglich, wie es zu geschehen pflegt, wenn eine eingekehrte schöne Hoffnung die Betheiligten und Mitwissenden belebt und sie reizt, das Geheimniß ungefährdet an der allgemeinen Fröhlichkeit zu sonnen.

Frau Gertrud Glor trank ein kleines Spitzchen mit Jukundus aus lauter Wohlgefallen an seiner guten und schönen Haltung, und als beim Schlafengehen die Tochter sie umhalste und einige schwere Thränen in der Mutter Halskrause niederlegte, wie einen sauer ersparten Zinsgroschen, da war sie gar nicht verwundert, sondern streichelte dem Kind theilnahmvoll die Wangen.

Wer kaum war das Spitzchen nothdürftig ausgeschlafen, was schon bald nach Mitternacht gethan war, da es nur klein gewesen, wie es einer Stauffacherin geziemt, so wachte sie sorgenvoll auf und besah sich den Schaden die übrige Nacht hindurch, während Justine auch nicht schlief und wohl merkte, daß die Mutter wachte. Aber sie hielt sich mäuschenstill und war nur glücklich, daß sie keine Zeit mit Schlafen verlor und unaufhörlich an die Sache denken konnte.

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/402&oldid=- (Version vom 31.7.2018)