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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

und in ein höfliches, kurzes Gespräch verwickeln. Doch fand sie im Verlaufe desselben rasch die Gelegenheit, die Hand der festen Dame zu ergreifen und in herzlichem Tone mitzutheilen, sie fühle sich gedrängt, ihre Freude darüber zu äußern, daß sie eine solche wahrhafte Stauffacherinnengestalt kennen gelernt habe! Man erwarte jeden Augenblick, sie aus einem wappen- und spruchgezierten Schwyzerhause hervortreten zu sehen und wie sie die trostreiche Hand auf die Schulter des sorgenvollen Eheherrn lege!

Während Frau Glor von Schwanau wohlgefällig erröthete, erschrack ihrerseits Frau Meyenthal, als während ihrer Rede ihre Augen die schöne Tochter Justine überflogen, die dabei stand; sie sah deren holdes Lächeln, welches dasjenige ihres Sohnes war, genau mit dem gleichen Schatten einer leisen Sehnsucht gemischt, wie das seinige.

Frau Meyenthal erschrack über dieses wundervolle Naturspiel, diese unverkennbare Willensäußerung des Schicksals und diese offenbare Thatsache überhaupt, zumal Justine, welcher das Gesicht der Mutter des Fahnenträgers bekannt und vertraut erschienen war, keinen Augenblick zweifelte, wen sie vor sich habe, als sie ihren Namen und Herkunft hörte, und daher ein kurzes unbewachtes Weilchen eben mit jenem Lächeln erfreut an ihren Augen hing.

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/398&oldid=- (Version vom 31.7.2018)