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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

selbst getauft würde, und dem rauhen starken Gesellen rollten die eigenen Thränen über die Wangen. Sein war das Leben, das er trug, und er hielt es, als ob er die reiche Welt Gottes trüge.

Als sie auf der Stelle anlangten, wo er selbst als Kind im Sünderhemdchen unter den Frauen gesessen und kürzlich Küngolt gefangen worden war, schien die Märzensonne so hell und warm, daß ein kurzes Ausruhen erlaubt schien. Dietegen setzte sich auf den Grenzstein und ließ seine reiche Last sachte auf seine Kniee nieder; der erste Blick, den die Erwachende ihm gab, und die ersten armen Wörtchen, die sie nun endlich stammelte, bestätigten ihm, daß er nicht sowohl eine Pflicht treu erfüllt, als eine neue eingegangen habe, nämlich diejenige, so gut und wacker zu werden, daß er des Glückes, das ihn jetzt beseelte, auch allezeit werth sei.

Der Boden um den Markstein her war schon mit Maßliebchen und andern frühen Blumen besäet, der Himmel weit herum blau, und kein Ton unterbrach die Nachmittagsstille, als der Gesang der Buchfinken in den Wäldern.

Weiter sprachen sie nun nichts, sondern athmeten einträchtiglich in die laue Luft hinaus: endlich aber erhoben sie sich, und weil der Weg nur noch über weichen Moosboden durch die Buchenwaldung abwärts

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/374&oldid=- (Version vom 31.7.2018)