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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

nöthig. Die Ruechensteiner haben seit Altem her die Satzung, daß ein zum Tode verurtheiltes Weib von jedem Manne gerettet werden kann und demselben übergeben wird, der sie zu ehelichen begehrt und sich auf der Stelle mit ihr trauen läßt!"

Dietegen schaute der Sprecherin verwundert und wunderlich in's Gesicht, nicht ohne sein spöttisches Soldatenlächeln.

„Ich soll also eine Art Dirne zur Frau nehmen, meint Ihr?" sagte er, indem er seinen hervorsprossenden Schnurrbart drehte und sich sehr ungläubig anstellte, obgleich es ihm durch das Antlitz zuckte. „Sag' nicht Dirne, antwortete Violande, „sie ist es nicht!"

Und plötzlich in Thränen ausbrechend, ergriff sie Dietegens Hände und fuhr fort: „Was sie gefehlt hat, ist meine Schuld, laß es mich bekennen; denn ich wollte Euch trennen und Beide aus dem Hause bringen, um den Vater zu bekommen! Darum habe ich das Kind zu allen seinen Thorheiten verleitet!"

„Sie hätte sich nicht sollen verleiten lassen," rief Dietegen, „ihre Eltern sind von guter Art gewesen; aber sie ist nicht gerathen!"

„Und ich schwöre Dir bei meiner Seligkeit," rief Violande, „es ist Alles wie vom Feuer weggebrannt, was sie verunziert hat; sie ist gut und sanft und

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/368&oldid=- (Version vom 31.7.2018)