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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

aber Dietegen, sah den Vorgang und packte den Schafürli an der Schulter. Der schrie wild auf und wollte seinen Dolch ziehen. Doch Dietegen hielt ihm die Hände fest und rang mit ihm, bis er ihn bezwungen hatte. Er besann sich, ob er ihn gefangen nehmen und anzeigen, oder ob er ihn blos verjagen solle, und weil er den Zusammenhang des Vorfalls noch nicht kannte und nicht eine neue Verwicklung für Küngolt herbei führen wollte, ließ er den krummen Mann laufen, indem er ihm bei Sicherheit seines Lebens verbot, je wieder an den Ort zu kommen. Zugleich aber ging er in das Haus hinein und veranlaßte den Todtengräber, die Gefangene nunmehr in die Stube zu nehmen, da ohnehin der Herbst vor der Thür sei und die Nächte zu kühl würden für den bisherigen Aufenthalt.

Küngolt wurde also noch in dieser Nacht mit der herkömmlichen leichten Kette am Fuße an den Ofen gefesselt. Es war das ein schlankes Gebäude von grünen Kacheln, welche in erhabener Arbeit die Geschichte der Erschaffung des Menschen und des Sündenfalls darstellten; an den vier Ecken des Ofens standen die vier großen Propheten auf vorstehenden gewundenen Säulchen, und das Ganze bildete ein nicht unzierlich gegliedertes Monument, an welches hingeschmiegt nun Küngolt auf der Ofenbank saß.

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/356&oldid=- (Version vom 31.7.2018)