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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

ausgriff als alle andern, da sie gleich unter dem Kinn schon sich zu spalten schienen.

Küngolt war nicht froh und wußte nicht, was ihr fehlte. Als daher Violande ihr zuflüsterte, sie sollte es auf das Schultheißenkind absehen, damit sie Schultheißin von Ruechenstein würde, blieb sie kalt und theilnahmlos, bis sie plötzlich den Buckligen mit seinem gewaltigen Tanzen sah und hoch auflachte. Sie begehrte sofort mit ihm zu tanzen, und es sah aus, wie ein Märchen, als ihre schöne Gestalt in grünem Kleide und das Haupt mit dunkelrothen Rosen geschmückt am Arme des spuckhaften Schreibers dahinflog, der seinen Höcker in Scharlach gehüllt trug.

Doch unversehens änderte sie ihre Laune und sie gerieth an den Mönch, von diesem an einen der Studenten, und eh' eine halbe Stunde vergangen, hatte sie mit allen anwesenden jungen Männern sich gedreht, so daß alle seltsam aufgeregt die Blicke an ihr haften ließen, indessen die übrigen Frauen allmälig auch wieder zu den Ihrigen zu kommen suchten. Damit das geschehe, rief Violande die Gesellschaft zum Tische unter den Linden, um sich dort auszuruhen und zu erquicken, indem je ein Jüngling neben eine Jungfer zu sitzen kam und Küngolt zu dem Schultheißensohn.

Küngolt aber war von einer Sehnsucht gequält,

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/338&oldid=- (Version vom 31.7.2018)