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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

stand er zitternd und schweigend, halb in Empörung gegen die eigenmächtige Zuthulichkeit der Frauen, halb in Versuchung, das Mädchen ungestüm an sich zu ziehen und beim Kopf zu nehmen. Er liebte die Mutter mit der treuesten und dankbarsten Anhänglichkeit, aber ihre unbefangene Aufmunterung zum Kosen machte ihm wunderlich und schwül zu Muthe; er betrachtete sich als dem Töchterchen ganz zu eigen gehörig; aber höchst ernsthaft war er um ihre gute Sitte besorgt, und als ihn Küngolt nun heftig auf den Mund küssen wollte, hielt er plötzlich die Hand, dazwischen und sagte wohlwollend aber mit dem Tone eines alten Schulmeisters: Du bist noch zu jung zu diesem! Das schickt sich nicht für Dich!

Das Mädchen wurde blaß vor Unmuth und Beschämung; plötzlich ging sie hinweg und mischte sich wieder unter die Gesellschaft, wo sie mit zorniger Ausgelassenheit einige Mal herumsprang und sich dann finster zur Seite setzte. Die Forstmeisterin streichelte dem jungen Sittenprediger lächelnd die Wange und sagte: Ei Du bist ja ein gar gestrenger Gespan! Aber um so treuer wirst Du um mein Kind sorgen! Versprich mir, es nie zu verlassen! Sieh, wir find alle ein lustiges Völklein und es mag sein, daß wir zu wenig an die Zukunft denken!

Dietegen gab ihr mit nassen Augen die Hand

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/323&oldid=- (Version vom 31.7.2018)