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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

erste Nacht in seinem Bette aufnehmen wolle? Aber die Knechte, sowie die Magd wichen scheu zurück und hüteten sich, ein Kind zu berühren, das soeben am Galgen gehangen hatte. Da rief Küngolt eifrig: Er soll in meinem Bettchen schlafen, es ist groß genug für uns Beide! Als hierüber Alles lachte, sagte die Forstmeisterin freundlich: Das soll er, mein Kind! Und den Jungen liebevoll betrachtend, setzte sie hinzu: Gleich als der arme Schelm hereintrat, befiel mich eine sonderbare Ahnung, als ob ein guter Engel erschiene, der uns noch zum Heil gereichen würde. Soviel ist sicher nach meinem Gefühle: Unheil wird er uns nicht bringen!

Damit führte sie die Kinder in das Kämmerchen neben der großen Stube und beförderte sie zu Bette. Dietegen, welcher kaum mehr sah und hörte, was um ihn vorging, machte die gewohnten Bewegungen, um sich zu entkleiden; da er aber sozusagen schon im Hemde war, so machten seine schlaftrunkenen vergeblichen Versuche einen so komischen Eindruck auf das Mädchen, welches inzwischen schon unter die Decke geschlüpft war, daß es vor Vergnügen laut auflachte und rief: O seht mir den Hemdlemann! Er will sich immer ausziehen und hat doch weder Wämmschen noch Stiefelchen an! Auch die Mutter mußte lächeln und sagte: Geh in Gottes Namen nur in Deinem

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/301&oldid=- (Version vom 31.7.2018)