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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Morgenschlaf erwachte, „ich will für einige Zeit den Platz räumen und andere Luft suchen!“ Gesagt, gethan! Er hing zum zweiten Mal die Reisetasche um, ergriff einen Stecken, schloß Fensterladen und Thür und machte sich auf den Weg, dem Tuchscheerer den Schlüssel zu bringen und sich bei ihm zu beurlauben.

Ein leichter und rascher Schritt weckte ihn aus dem Brüten, in dem er Alles getan hatte. Er kannte den Schritt und lauschte ihm einige Augenblicke, eh' er aufzuschauen wagte. Schon warf die Morgensonne den leichten Schatten eines Schleiers auf den glänzenden Weg, dicht unter seine Augen; der Florschatten umflatterte ein Paar rundgezeichnete Schultern. Wilhelm war plötzlich wie in ein Fegefeuer gesteckt und bemerkte dennoch in aller Verwirrung, daß der wohlklingende Schritt fast unmerklich zögerte. Endlich blickte er in die Höhe und sah Frau Gritli nahe vor sich, welche ihrerseits erröthete und verlegen lächelnd vor sich hinsah. Beide Personen beschleunigten in der Verwirrung ihren Gang und eilten sich vorüber, wahrscheinlich um sich nie wieder zu treffen. Da zog Wilhelm doch noch seinen Hut, und Gritli erwiderte den Gruß mit einer raschen Verbeugung. Wie an einem Drahte gezogen, sah Jedes zurück, stand still und wendete sich mit mehr oder weniger

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/259&oldid=- (Version vom 31.7.2018)