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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

einer Landfrau mit mehreren Stücken zum Wechseln, alles neu und zierlich, beinahe köstlich gemacht. Am ersten Sonntag in aller Frühe kleidete sich Aennchen mit Gritlis Hülfe sorgfältig darein und ließ ihrer Schönheit, die nicht gering war, mit übermüthiger Berechnung den Zügel schießen. Ueber eine kurze Scharlachjuppe wurde eine genauso lange schwarze angezogen, so daß der Scharlach nur bei einer raschen Bewegung sichtbar wurde und das blendende Weiß der Strümpfe um so reizender erscheinen ließ. Rücken, Schultern und die runden Arme zeichnete eine knappe braune seidene Jacke vortrefflich und ließ die hohe Brust frei, welche dafür mit einem Brustlatz von schwarzem Sammet bedeckt und mit dergleichen Bändern eingeschnürt war, die durch silberne Hacken gingen. Ueber der Stirn wurden einige kokette bäuerliche Löcklein gebrannt, das übrige Haar hing in dicken Zöpfen fast bis auf die Erde und endigte in breiten, mit Spitzen besetzten Sammetbändern. Mit jedem Stück, das sie der lachenden Freundin nesteln half, wurde Frau Gritli ernsthafter und besorgter, und als endlich die Uebermüthige ganz geschmückt war und sich in bewußter Schönheit spiegelte, bereute Jene die ganze Erfindung und erhob allerlei Bedenklichkeiten. Doch sie wurde nur ausgelacht, und Aennchen rief:

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/245&oldid=- (Version vom 31.7.2018)