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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

ernst und mißfällig: „Das kann so nicht gehen, liebe Frau! Du siehst, wie ich mir alle Mühe gebe, Dich zu mir heranzubilden und du kommst mir dennoch nicht entgegen! Du weißt, daß ich die dornenvolle Laufbahn eines Dichters betreten habe, daß ich des Verständnisses, der begeisternden Anregung, des liebevollen Mitempfindens eines weiblichen Wesens, einer gleichgestimmten Gattin bedarf, und Du lässest mich im Stich, Du schläfst ein!“

„Ei, mein lieber Mann!“ erwiederte Frau Gritli, indem sie über diese Reden erröthete, „mich dünkt, ein rechter Dichter soll seine Kunst verstehen ohne eine solche Einbläserin!“

„Gut!“ rief Viggi „verhöhne mich nur noch, statt mich zu erheben und aufzurichten! Gut! Ich werde in Gottes Namen meinen Weg allein wandeln!“

Und er legte sich kummervoll schmollend zu Bett und sein Weib legte sich neben ihn in Sorgen, daß es um seinen Verstand übel stehen möchte. Er schmollte nun mehrere Tage und wandelte seinen Weg allein; doch hielt er das nicht aus, sondern beschloß, nunmehr mit männlicher Strenge seinen Willen durchzusetzen und die Gattin zu dem zu zwingen, wofür sie ihm einst danken würde. Er machte schnell einen Erziehungsplan, legte eine Anzahl Bücher zurecht, trat fest vor die Frau hin und wies sie an,

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/167&oldid=- (Version vom 31.7.2018)