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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Walde erkannt wurde. Er war von Allen gekannt, so wie er ebenso Alle kannte, denn diese Herren, welche ein gutes Buch Jahrzehnte lang ungelesen ließen, verschlangen alles, was von Ihresgleichen kam, auf der Stelle, es in allen Kaffeebuden zusammen suchend, und zwar nicht aus Theilnahme, sondern aus einer sonderbaren Wachsamkeit.

Sie sind Kurt vom Walde? hieß es dröhnend, ha! willkommen! Und nun wurden mehrere Flaschen eines unechten wohlfeilen und sauren Weines bestellt, der billigste unter Siegel, der im Hause war, und es hob erst recht ein energisches Leben an. Nun galt es zu zeigen, daß man Haare auf den Zähnen habe! Alle Männer, die es zu irgend einem Erfolge gebracht und in diesem Augenblicke Hunderte von Meilen entfernt vielleicht schon den Schlaf der Gerechten schliefen, wurden auf das Gründlichste demoliert; Jeder wollte die genauesten Nachrichten von ihrem Thun und Lassen haben, keine Schandthat gab es, die ihnen nicht zugeschrieben wurde, und der Refrain bei Jedem war schließlich ein trocken sein sollendes: Er ist übrigens Jude! Worauf es im Chor ebenso trocken hieß: Ja, er soll ein Jude sein!

Viggi Störteler rieb sich entzückt die Hände und dachte: Da bist du einmal vor die rechte Mühle gekommen! Ein Schriftsteller unter Schriftstellern!

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/152&oldid=- (Version vom 31.7.2018)