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Weihnachtsbücherschau
(Unser Bismarck / Freund Allers)

Max Klinger. Von Cornelius Gurlitt. – Weihnachtsbücherschau. 73


zur Magdalena mit der Gestalt im Bilde. Er kann’s also doch auch anders, es ist ihm die Vorstellung weicher Schönheit nicht versagt. Er will’s also so, wie es im Bilde erscheint.

Und daneben die neueren Arbeiten: Gemalt ohne Malmittel, mit breitem Pinsel, klar und fest aufgetragen. Studien im Freilicht, voll ernsten Wollens, voll aufmerksamer Wahrheitsliebe, durchaus Arbeiten des Ringens nach Ausdruck, nicht des fertigen Könnens, wie es Gussow lehrte! Also Klinger konnte schon einmal, ehe er sich zu lernen entschloß, er war Meister gewesen, ehe er sich selbst in Schule nahm. Er arbeitet noch heute an der Farbe, als dem ihm am wenigsten handgerechten Kunstmittel. Man sieht das seinen Bildern an! Sie sind Versuche, Studien, sie sind noch nicht ganz mit sich selbst zu Ende. Es irrt der Mensch, so lange er strebt.

(Der Schluß im nächsten Hefte.)




Weihnachtsbücherschau.
II.[1]


Ohne Zweifel war es kein Zufall, sondern einer Art innerer Notwendigkeit, daß der unvergängliche Zauber, der für die deutsche Nation alles umgiebt, was mit dem Fürsten Bismarck in Berührung steht, in Allers einen ebenso selbständigen als ungewöhnlich begabten, überdies ihm in vielen Dingen verwandten Schilderer gefunden. Verwandt vor allem in der nüchternen, aber durchdringenden Schärfe der Weltbetrachtung. Hat sie durch den Fürsten Deutschland gerettet und ihm eine großartige Zukunft bereitet, so hat sie auch den Hamburger Maler befähigt, uns in seinen Bismarck-Werken etwas zu schaffen, was seinesgleichen in der Welt fast ebenso wenig findet als Fürst Bismarck selber. Denn alle seine Vorgänger waren von ihrem Original doch zu sehr entfernt, hatten übrigens viel zu sehr mit der Unvollkommenheit der damaligen Reproduktionsmittel zu ringen, um jemals denselben hohen Grad unmittelbarer Wahrheit und Glaubwürdigkeit erringen zu können. Selbst wo jene unleugbar mehr Dichter sind als er, dem Schmuck der Bildwirkung mehr einräumen, so giebt dafür keiner die Dinge, die er gesehen, mit so photographisch schlichter Wahrheit wieder. In dieser Beziehung übertrifft das jetzige Werk („Unser Bismarck“, 14 Lfrg. à 2 M. Stuttgart, Union) in seinen bisher erschienenen vier Lieferungen sogar noch das frühere an nüchterner Wahrhaftigkeit. Das ist aber von ungeheurem Wert bei einer historischen Figur von so riesigem Maße wie Bismarck, die wirklich keiner Idealisierung bedarf. So treffen wir gleich im zweiten Heft einen bei der Arbeit ruhig rauchend dasitzenden Kanzler, der fast alle früheren an Wahrheit überbietet. Es ist ja ein trotziges Gesicht, das man ähnlich tausendfach bei alten Soldaten, Edelleuten und Jägern gefunden – nur daß es hier eben eine Energie und geistige Macht ausspricht, wie sie sonst kein anderes bis zu diesem Grade besitzt. Sonst handelt das Heft fast nur von dem Schönhausener Museum, dessen merkwürdigste Schätze uns alle vorgeführt und in dem, beiläufig bemerkt, vortrefflichen Text Hans Krämers auf ihre historische Veranlassung zurückgeführt werden. Dann sieht man noch die jetzigen Bewohner von Schönhausen, den Grafen Herbert mit seiner Familie und freut sich des herrlichen Familienlebens, das nicht am wenigsten „unsern Bismarck“ dem deutschen Volke so sympathisch gemacht hat. Malerischen Reiz haben diese Bilder so wenig als die ihnen folgenden des Kissinger Aufenthalts, aber dafür entschädigen sie reichlich durch ihre unendliche Glaubwürdigkeit, die uns bald alles an ihnen lieb und vertraut werden lässt. So lernen wir in Kissingen erst den Ort selbst, dann aber besonders die Art von Badegästen kennen, welche die Hoffnung, den Fürsten zu sehen, hundertweise aus der halben Welt herzieht. So sind die, das Trinkglas in der Hand, im Gänsemarsch zum Rakoczy-Brunnen wallfahrenden Pilger mit köstlichem Humor charakterisiert, nicht weniger der von einem Schneegestöber überraschte Fürst selber oder die Engländer, Amerikaner, Russen und andere, die da einstweilen ihren nationalen Sport treiben, bis sie Bismarck endlich erlauert haben und dann haufenweise seinen Wagen umlagern, Kinder und Frauen nicht weniger als Männer, während uns der Text dazwischen die beiden Mordanfälle erzählt, die auf den Fürsten gemacht wurden, und die von der Wut der politischen Parteien in Deutschland ein so trauriges Zeugnis ablegen. Hatte man also in diesem zweiten Bismarck-Werk des Allers etwa eine Abschwächung des ersten befürchtet, so kommt man von dieser Meinung bald zurück und sieht, daß man es mit einer sehr willkommenen Ergänzung zu thun hat.


Ganz neu, d.h. soeben erst erschienen, ist „Freund Allers“ von Dr. Olinda, mit über 400 Illustrationen von C. W. Allers, (Stuttgart, Union, Preis 20 M.). Das heißt, wir erhalten hier eine Art Selbstbiographie des berühmten Zeichners, da ihm vorab alle die oft köstlichen Illustrationen und außerdem der größere Teil des übrigens hochinteressanten Textes gehören, der offenbar nach seinen brieflichen und mündlichen Mitteilungen von einem Jugendfreunde bearbeitet ward. Dadurch bekommt man nun zum erstenmale einen deutlichen Begriff vom ziemlich abenteuerlichen Lebenslauf unseres Künstlers, der in Hamburg beginnt und vorläufig in Capri endet, was uns in 16 Kapiteln sehr lustig auseinandergesetzt wird. Einen besonderen Reiz erhält die originelle Publikation aber dadurch, daß sie von allem Anfang an durch die ganz kindlichen aber merkwürdig charakteristischen Schilderungen des kleinen Jungen begleitet wird, die er, heimgekehrt von seinen zahlreichen Wanderungen, in der Nachbarschaft schon vom vierten Jahre an zu entwerfen pflegte, und die, wie es scheint, von den Eltern gesammelt wurden. Darunter sind nun wahre Perlen naivkomischer Schilderung. Mit sechs Jahren ist dann der kleine schalkhafte Straßenschlingel fertig, der in der Schule zwar herzlich wenig lernt, aber auf der Gasse umsomehr Abenteuer besteht. Doch wir müßten das halbe Buch abschreiben, um nur das Lustigste zu berühren, denn es ist keine Frage, daß die Schilderung dieser Hamburger Jugendzeit eigentlich interessanter ist als alles, was unser Künstler nachher in drei Weltteilen erlebte, weil es eben das Gepräge noch größerer Wahrheit und Unmittelbarkeit trägt, als sie in fremden Ländern jemals zu erreichen sind. So kann es denn auch gar keinem Zweifel unterliegen, daß Allers seine ersten Schilderungen Hamburgischen Lebens, wie „Klub Eintracht“ und „Die silberne Hochzeit“ an malerischem Reiz niemals mehr überboten und nur mit den beiden Bismarck-Büchern noch ein tieferes Interesse erweckt hat, da er hier ja auch das Glück hatte, eine Anzahl ihm ganz vertrauter und zugleich hochbedeutender Menschen schildern zu können. Freunde dürfte ihm aber wohl die vorliegende Selbstbiographie die meisten verschaffen, in der er eine so merkwürdige Verwandtschaft mit Fritz Reuter offenbart.


Ganz anderer Art, aber in derselben jedenfalls von höchster, bleibenster Bedeutung ist die eben beginnende Publikation der „Königlichen Gemäldegalerie zu Dresden“ in 100 Vollbildern mit Text von Dr. H. Lücke (München, Hanfstängl. I. Lieferung, 12 M.) Ist es gar keine Frage, daß die photographische Wiedergabe alter Bilder allmählich eine Vollendung erreicht hat, die man früher gar nicht ahnen konnte, so ist das vorliegende Werk eine glänzende Probe derselben. Ja, es übertrifft noch die ihm vorausgehenden, ebenfalls in einem großen Quartband erschienenen Galerien des „Rijksmuseums“ in Amsterdam und der „Galerie im Haag“ an technischer Vollendung. So ist z. B. die berühmte Madonne di San Sisto in der vorliegenden Wiedergabe geradezu unübertrefflich durch die Weichheit des Tones, bei welcher man aber noch fast jeden Pinselstrich verfolgen kann, und die Köpfe vollends alle Stiche weit hinter sich lassen. Dabei ist der Preis so mäßig, daß sich dadurch ein viel größerer Kreis von Abnehmern ermöglicht. Das ist aber ein ungeheuerer Vor-


  1. I siehe in Heft 4.
Empfohlene Zitierweise:
Weihnachtsbücherschau II. In: Die Kunst für Alle. 10. Jg. (1894/95), Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kunst_f%C3%BCr_Alle_(1894)_073.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)