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Julius Blüthner in Leipzig,
Königl. Sächsische Hof-Pianoforte-Fabrik.

Die obengenannte Flügel- und Pianinofabrik ist die erste Firma dieses Industriezweiges nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Wer heute die umfassenden Anlagen in der Westvorstadt Leipzigs betritt, wer durch die sehr zahlreichen Arbeitsräume gewandert ist und alle die einzelnen Baulichkeiten und Einrichtungen besichtigte, dem wird es kaum glaublich erscheinen, aus wie kleinen Anfängen das Alles sich entwickelt hat.

Es war am 7. November des Jahres 1853, wo Julius Blüthner nach einer tüchtigen und bereits durch bedeutende Leistungen gekennzeichneten Lehrzeit als erfahrener Meister mit nur drei Arbeitern in einem gemieteten Raume eine eigene Fabrik begründete. Im Februar 1854 wurde der erste Flügel fertiggestellt und fand trotz bedeutender Concurrenz großen Beifall. Damit war die Bahn geebnet und die Blüthner-Flügel wurden bekannt; fast kein bedeutender Musiker entbehrte eines solchen und schon im Anfang der sechziger Jahre erhielt der Fabrikant zahlreiche Anerkennungsschreiben von hervorragenden musikalischen Autoritäten.

Blüthner war der Mann dazu, diese Erfolge auszunützen und durch Fleiß sowie Erfindungsgeist rastlos an der Weiterentwicklung seiner Fabrik zu arbeiten. Der Erfolg belohnte ihn in seltenem Maße!

Nachdem die junge Firma bereits im zweiten Jahre ihres Bestehens 1854 in München auf der Gewerbeausstellung Lorbeeren errungen, folgte die „goldene Medaille“ auf der sächsisch-thüringischen Gewerbeausstellung in Merseburg 1865 und Blüthners Ernennung zum Königl. Sächsischen Hoflieferanten. Dann 1867 der erste Preis für Norddeutschland auf der Pariser Weltausstellung und in demselben Jahre der erste Preis der Chemnitzer Industrieausstellung. Im Jahre 1871 verlieh Se. Majestät König Johann von Sachsen Blüthner den Titel „Commerzienrat“. Sehr bedeutend war die Anerkennung in Wien 1873, wo den Leistungen der Fabrik das „Ehrendiplom“ (die höchste Auszeichnung) zu Teil wurde.

1874 geruhten Ihre Majestäten König Albert und Königin Carola von Sachsen das Etablissement mit ihren Besuchen auszuzeichnen. Auf der Weltausstellung in Philadelphia 1876 trugen die Aliquotpianos die Centennialmedaille davon. Im Jahre 1878 feierte die Firma ihr fünfundzwanzigjähriges Geschäftsjubiläum, zu dem der Rat der Stadt Leipzig und das Königl. Conservatorium der Musik, abgesehen von zahlreichen anderen Kundgebungen, die ehrenvollsten Zuschriften sandten. Ferner erhielt Blüthner für seine Thätigkeit als Preisrichter in vielen Orten weitere Diplome. In neuerer Zeit wurde die Firma noch in Puebla, Sydney, Melbourne, Amsterdam etc. gefeiert und mit den ersten Preisen ausgezeichnet.

Nach Schilderung dieser Anerkennungen des In- und Auslandes ist es interessant, zu erfahren, wie unterdessen die Geburtsstätte der auf der ganzen Welt bereits verbreiteten Instrumente sich im Laufe der Jahre erweiterte, wie aus einer kleinen Anlage die größte Fabrik der Pianofortefabrikation in Europa erstand: Im vierten Jahre nach Beginn hatte Blüthner 14 Arbeiter; im Jahre 1858 erwarb derselbe das Grundstück eigenthümlich. Von 1863 an wurden auch Pianinos gebaut, die sich gleich den Flügeln durch vorzüglichen Ton auszeichneten. Die jetzt aus der Mode gekommenen Tafelklaviere wurden ihres schönen Tones wegen von den Kunstfreunden sehr geschätzt. Im Jahre 1864 machte sich der Neubau eines zweiten Gebäudes für hundert Arbeiter notwendig. In den Jahren 1870–73 wurden zwei weitere Fabriken nebst zahlreichen Trockenhäusern erbaut, auch wurde der berühmte Conzertsaal angelegt, in dem die prachtvollen

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Verschiedene: Die Groß-Industrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild. Erster Theil. Eckert & Pflug, Kunstverlag, Leipzig 1892, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gro%C3%9F-Industrie_des_K%C3%B6nigreichs_Sachsen_in_Wort_und_Bild_Teil_1.pdf/43&oldid=- (Version vom 23.2.2020)