Seite:Die Groß-Industrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild Teil 1.pdf/255

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
G. F. Leonhardt am Markt in Hainichen.
(Zweig-Etablissement G. Fr. Leonhardt in Böhrigen.)
Flanellfabrik: Spinnerei, Weberei, Walkerei und Appretur.

Die altehrwürdige Firma, deren Wirksamkeit wir in diesem Artikel näher betrachten wollen, besitzt eine nahezu hundertjährige Geschichte. Ihre Anfänge reichen in jene Zeit zurück, wo noch mit der Hand gesponnen wurde und wo der fleißige Weber, dessen Hände das Schifflein unermüdlich hin- und hergleiten ließen, noch keine Ahnung von der dereinstigen Vollkommenheit seiner Kunst hatte und sich wohl kaum vorstellen konnte, daß in nicht allzuferner Zeit die natürlichen Wasserkräfte seiner Heimath, im Verein mit der künstlich erzeugten Dampfkraft, ihm den größten Teil seiner Arbeit abnehmen, und daß ein auf die höchste Vollkommenheit gebrachter mechanischer Webstuhl viele der manigfaltigen und verwickelten Handgriffe selber besorgen und selbstthätig Erzeugnisse hervorbringen werde, wie sie der geschickteste Handarbeiter trotz aller Mühe und trotz allen Fleißes doch nicht zu liefern im Stande ist.

Vor ungefähr hundert Jahren, am 3. Juli 1794, widmete sich Gotthelf Friedrich Leonhardt in dem am Markt gelegenen Stammhause der Tuchmacherei. Die Zeiten waren unruhig, die Stürme der französischen Revolution durchtobten damals die Welt, schwere Kriegsjahre kamen und die Gewerbe des Friedens lagen darnieder, ein verheerender Brand legte im Jahre 1832 nahezu ganz Hainichen und mit ihm das Geschäftshaus in Asche. Aber durch Fleiß, Ausdauer und treue Pflichterfüllung ließen sich auch böse Jahre überwinden und trotz der Zeiten Ungunst entwickelte sich das junge Unternehmen.

Nach dem Tode des Gründers, im Juni 1839, übernahm dessen Sohn, Herr Carl Gustav Leonhardt, die Leitung der Firma und führte sie vierzig Jahre lang. Am 26. Oktober 1885 feierte er sein fünfzigjähriges Jubiläum als Meister der Tuchmacher-Innung zu Hainichen. Seine Wirksamkeit war für das Geschäft von tiefgehender Bedeutung. Während seiner geschäftlichen Thätigkeit vollzog sich der große Umschwung in unserer heimischen Industrie, indem sich aus den handwerksmäßigen Einzelbetrieben allmählig die Großfabrikation zu entwickeln begann. Mit sicherem Blick erkannte Herr Carl Gustav Leonhardt den Zug der Zeit und suchte sein Geschäft in die Bahnen des Großbetriebs überzuleiten. Durch die im Jahre 1859 erfolgte Anlegung des Zweigetablissements in Böhrigen mit Spinnerei, Weberei und Walkerei (Bild 2) und durch Ankauf benachbarter Grundstücke in Hainichen (Bild 1) wurde der Betrieb wesentlich erweitert.

Im Jahre 1879 ging das Geschäft an die langjährigen Mitarbeiter des Vorgenannten, an seine Söhne, die Herren Gustav Leonhardt, Prokurist und Leiter des Böhrigener Zweigetablissements, und Richard Leonhardt, sowie an seinen Schwiegersohn, Herrn Johannes Georg Gotthilf Anhalt über, die ihrerseits das Geschäft nicht nur in gutem Betrieb erhielten, sondern auch beträchtlich erweiterten und neuerdings die Fabrikanlagen der Firma durch die Errichtung einer neuen mechanischen Weberei (Bild 3) vergrößerten.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Groß-Industrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild. Erster Theil. Eckert & Pflug, Kunstverlag, Leipzig 1892, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gro%C3%9F-Industrie_des_K%C3%B6nigreichs_Sachsen_in_Wort_und_Bild_Teil_1.pdf/255&oldid=- (Version vom 23.2.2020)