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Verschiedene: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jahrgang, Band 1

Landes ist, darf man nicht für einen jener niederen Volksdialekte nehmen, denen die Sprache der Gebildeten, der volle Ausdruck der Poesie und des öffentlichen Lebens, gegenüberstünde; sondern sie ist eine in sich abgeschlossene Art, eine Species der deutschen Sprachfamilie, welche, vermöge ihrer Fülle und Bildsamkeit, nicht ungeeignet scheint, sich neben dem Hochdeutschen, nach ihrem eigenen Triebe und Gesetze, zu entwickeln und geltend zu machen. Unter der Hand eines begabten Schriftstellers, kann das Flamändische viel Ausdruck und Reiz annehmen; denn mit der Milde und Natürlichkeit des Niedersächsischen verbindet es die lebendigen in alle Schattirungen wandelnden Vokallaute der englischen Mundart.

Sehr wahr heißt es weiter in dem angeführten Aufsatze: „Ein Volksdialekt, wie jede andere Sprache, kann sich im Leben nicht erhalten, wenn er nicht fortdauernd künstlerisch gebildet wird, d. h. ohne selbstständig bestehende Literatur. Wir wenigstens erinnern uns keiner Volkssprache, die sich wesentlich von der Sprache der gebildeten Volksklassen unterscheidet, die nicht in Lied und Romanze wenigstens eine gewisse künstlerische Ausbildung erhalten hätte. Man gedenke nur der verschiedenen italienischen Volksdialekte, welche reiche geschriebene und gedruckte Literatur bieten sie den Freunden solcher Studien; gleiche Ausbildung besitzen die verschiedenen Dialekte der pyrenäischen Halbinsel. Wer kennt nicht die reiche, bis in die neueste Zeit fortgeführte Literatur der Provence; und ebenso bestehen auch in der Bretagne Schauspiele und Romanzen in Menge, welche diese Sprache zu einer Schriftsprache ausgebildet haben, ja wenn man den Erzählungen der verschiedenen Reisenden, und den Versicherungen und Angaben französischer Literatoren Glauben beimessen darf, pflanzt sich in dieser merkwürdigen Provinz eine Schule Volksdichter fort, die, aus dem Volke entsprossen, immer noch beschäftigt sind, diesen Dialekt künstlerisch zu bilden." —

Durch den Anbau der Dialekte in der Literatur — eine Erscheinung, die gegenwärtig in Deutschland bemerklich wird, — treten sich die einzelnen Stämme eines Völkerganzen wieder näher. Das naive Bewußtsein des Landbewohners theilt sich den freiern Ständen erquickend mit, die ihre künstliche Existenz gern mit den Weisen des Volksliedes, mit dem Gesange eines Hebel, eines Burns, erfrischen. Die Stimmen des Volkes sind die Klänge der Vergangenheit, in denen wir oft am reinsten die Naturanlage, das Gemüth, den sittlichen Werth einer Nation, in ursprünglicher Einfachheit, erkennen. Das Neuerwachen dieser Stimmen, welche Deutschland an seinen Grenzen nicht minder, als in seinem Innern vernimmt, scheint auch mit jener Geistesrichtung im Allgemeinen zusammenzuhängen, durch welche Deutschland heutzutage seine alte Literatur und Sprache, seine erste Jugend, wieder hervorruft. Das deutsche Leben ist in diesem Jahrhundert in seinem tiefsten

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Verschiedene: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jahrgang, Band 1. Herbig, Leipzig 1841, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Grenzboten_1-1841.pdf/62&oldid=- (Version vom 31.7.2018)