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Verschiedene: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jahrgang, Band 1

manche bittere Täuschung erfahren, bis die innere Klarheit siegreich hervortritt, und über dem Aschenkruge vergangener Träume eine Psyche sich erhebt. Wie könnte bei solchem Ringen der Dichter fortwährend jene verständige, faßliche Form beobachten, die auf den Brettern so viel vermag? Untergeordnete Geister jedoch, die sich weniger vom nächsten Bedürfniß der dramatischen Mechanik entfernen, die nichts wissen von jenem Stolze großer Dichter, welche niemals den gewöhnlichen Begriffen der Masse schmeicheln, solche Poeten werden freilich viel klarer, viel anziehender und dem Hörer zugänglicher sein. Darum hat sich mancher wahrhafte Genius mit dem Kranze des Nachruhms begnügt, und überließ jene Kränze, die aus den Theaterlogen geworfen werden, den Dienern des Tages.

Mit vielem Unrecht hat man oft die deutsche Kritik beschuldigt, daß durch sie ein Zwiespalt zwischen Literatur und Bühne erhalten werde. Freilich hat sie nicht immer ihre Pflicht gethan, und der alte Moliere, der jedes neue Lustspiel seiner Köchin vorlas, war vielleicht besser berathen, als jetzige Theaterdichter mit manchem Recensenten. In Frankreich, wo das poetische Genie weniger tief, weniger in Träume versunken ist, als in unserem Vaterlande, dort, scheint es, stehen die Dichter dem praktischen Bedürfniß näher, und Victor Hugo, Alexander Dumas und Casimir Delavigne nehmen denselben Rang, auf der Bühne ein, wie in der Literatur, während in Deutschland die Poesie und die Bühnenpraxis nur Einmal in Schiller ihre Versöhnung feierten.

Es wissen alle Zeitungsleser, daß die französische Kritik jedes neue Drama weitläuftig bespricht, daß aber von den Schauspielern in jenen Feuilletons nur äußerst wenig die Rede ist. Wer unsere Journale liest, kann das Gegentheil finden, und allerdings hat man vielfach die Klage gehört, daß darstellende Künstler in Deutschland weit mehr als selbst die Dichter berücksichtigt werden. Aber wenn wir uns an den Ausspruch Schillers erinnern, daß der Schauspieler mit dem Ruhm der Gegenwart geizen muß, daß ihm die Krone der Unsterblichkeit nicht winkt, während der Dichter und der Maler ihren Zeitgenossen gegenüber ruhig an die Nachwelt appelliren können, so wird man den Künstlern, welche uns die Idee des Schönen am nächsten und wirksamsten vorführen, die anmuthige Zierde des öffentlichen Preises nicht mißgönnen. Wenn der Lorber des Schauspielers der vergänglichste ist so ist er doch auch der frischeste, nächst dem Kranze des Volksredners, einem Kranze, der in unserm Vaterlande nicht blüht. Die Zeit ist vorüber, wo die Schauspielerkunst von den andern Geistesrichtungen nur vornehm geduldet wurde, sie steht hoch geehrt unter ihren Schwesterkünsten, und mit dem Namen Seydelmann oder Sophie Schröder wird einer der Höhenpunkte deutscher Bildung bezeichnet. Freilich trat ein Mißverhältniß in der Schätzung

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Verschiedene: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jahrgang, Band 1. Herbig, Leipzig 1841, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Grenzboten_1-1841.pdf/56&oldid=- (Version vom 31.7.2018)