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ins Auge, befriedigt aber auch nachhaltig durch die innige Empfindung und gemütvolle Stimmung, die in ihr waltet. – Höher noch steht Bonifazios, gleichfalls von Wolf für mich reproduzirter bethlehemitischer Kindermord. In demselben muss man die seltene Lebendigkeit in den Gruppen der verzweifelt fliehenden Mütter, der wütenden Henkersknechte und der gemordeten, hier wild in Lüften geschwungenen, dort am Boden zerschmetterten Säuglinge bewundern; aber die entsetzliche Handlung ist doch so aufgefasst, dass sie nichts Verletzendes hat, was man recht erkennen wird, wenn man den in anderer Hinsicht so unübertrefflichen Kindermord des Rubens damit vergleicht. Die Figur des Herodes allerdings ist dem Venezianer misslungen; er sitzt während des grausen Würgens, das er angeordnet, so behaglich auf seinem Thron, als ob er über das Wetter spräche.

Jedermann schätzt die unter dem Namen der verschiedenen Bassano gehenden Bilder, welche Heerden mit ihren Hirten, das Innere von Hauswirtschaften und Aehnliches vorstellen. Als ich die mit ihren alten Mauern und Warttürmen in schöner Gegend sehr malerisch gelegene Stadt Bassano besuchte, war ich höchlich erstaunt, in dem dortigen Museum eine beträchtliche Anzahl von Gemälden des älteren Bassano zu finden, welche weit aus diesem engen Kreise heraustraten und mit dem Vorzuge eines blühenden Kolorits den einer reichen, wohlgeordneten Komposition verbanden. Dasjenige unter ihnen, das mir am merkwürdigsten schien, kopirte Wolf für mich. Es stellt die Taufe der heil. Lucilla vor (nach einer mir nicht näher bekannten Legende), und gewiss wird Jeder davon, als von einem wahren Prachtstück überrascht werden.

Als Hauptwerk des eminenten, jedoch nicht nach Verdienst bekannten Brescianers Romanino gilt, neben dem grossen, im Museum von Padua aufbewahrten Bilde das Altarstück der Kirche S. Francesco zu Brescia. Dasselbe hat entschiedene Vorzüge, namentlich eine erstaunliche Kraft und Tiefe der Farbe, so dass eine Kopie davon durch einen mehrmonatlichen Aufenthalt Wolfs in dem von Kunstschätzen strotzenden Brescia mir nicht zu teuer erkauft dünkte. Man sieht die Jungfrau mit dem Christkinde auf dem Throne, von sechs heiligen Franciskanern verehrt; das Ganze bietet eine höchst würdevolle Erscheinung von echtem religiösen Ernst; es entfernt sich in dieser Hinsicht von der Weise der Venezianer, bei denen die feierliche Strenge immer durch Anmut gemildert wird, und erinnert stark an die Werke spanischer Maler, z. B. des Zurbaran. Als welch’ ein Farbenvirtuos Romanino sich hier zeigt, erkennt man in seinem vollen Umfange erst, wenn das Bild recht hell beleuchtet wird.

Nachdem Wolf eine so grosse Anzahl der herrlichsten Werke venezianischer Kunst kopirt hatte, wünschte ich, dass er seine Kraft auch an einigen Gemälden anderer Meister versuche, die mir von hervorragendster Bedeutung schienen. Er begab sich zu diesem Zwecke zweimal nach Florenz, und gewiss wird man es eine glückliche Wahl nennen, dass er sich zuerst der Grablegung (Pietà) des Fra Bartolommeo im Palast Pitti zuwandte. Kaum hätte sich ein glänzenderes Beispiel von der Höhe, zu welcher sich die toskanische Malerei erhoben, finden lassen, als dieses Bild; nie ist der Mutterschmerz ergreifender geschildert worden, als in der Maria, nie der wilde, die ganze Seele zerwühlende Jammer um das Hinscheiden eines geliebten Toten in einer Gebärde so erschütternd zur Anschauung gekommen, wie in der die Füsse des Heilandes umklammernden Magdalena. Freilich haben wir Belege dafür, dass auch die Venezianer dem Ausdruck der tiefsten Gefühle, des mächtigsten, herzbewältigenden Wehes gerecht zu werden wussten; indes vor dieser Pietà des Fra Bartolommeo möchte man doch die Toskaner wegen ihrer grösseren Innerlichkeit, ihrer mehr zur Seele dringenden Glut der Empfindung preisen.

Wenn ich die Galerien von Florenz durchwanderte und mich in die Schöpfungen der vorrafaelischen Maler vertiefte, regte sich oft in mir der Wunsch, auch einige von diesen in Nachbildungen zu besitzen. Viele derselben haben, namentlich die Werke des Filippo Lippi, des Sandro Botticelli, des Lorenzo di Credi, durch die Wärme des Gemüts, die in sie ergossen ist, eine grosse Anziehungskraft, und so oft ich nach Florenz komme, kehre ich mit stets erneuter Freude zu ihnen zurück. Solche Denkmale einer noch nicht zu ihrer Höhe gelangten Kunst kopiren zu lassen, hatte jedoch für mich etwas Bedenkliches. Was ich meine, wird man ganz verstehen, wenn man sich Kopien nach dem so überaus verehrungswürdigen Fra Angelico da Fiesole zwischen solchen nach Tizian und zwischen Bildern moderner Maler aufgehängt denkt. Allerdings haben nun Filippo Lippi und einige seiner Zeitgenossen schon eine beträchtlich höhere Stufe erreicht, allein sie müssten sich in der genannten Umgebung doch immer noch seltsam ausnehmen. Ein reizendes Rundbild von Mariotto Albertinelli im Palast Pitti, eine vor dem Christkinde knieende Madonna, schien mir dagegen die Vorzüge der kindlichen Naivetät, wie sie den Prärafaeliten eigen ist, schon mit einer so hohen Kunstvollendung zu vereinen, dass ich in Betracht ihrer meine Bedenken fallen liess; und ich brauche meinen Entschluss nicht zu bereuen; denn die mit äusserster Sorgfalt und eingehendem Verständnis von ihr gefertigte Kopie, die ich Wolf verdanke, behauptet sich vollständig, selbst zwischen Tintoretto und Sebastian del Piombo.

Lange hatte ich um des grossen Andrea del Sarto Meisterwerk, die Madonna del Grifeo oder delle Arpie, in der Tribune der Uffizien, umsonst geworben. Nach vielfältigen fruchtlosen Bemühungen aber erreichte ich, dass sie an einen Platz gebracht wurde, wo es möglich war, sie zu kopiren. Dass Wolf diese Aufgabe in so vorzüglicher Weise gelöst, muss ihm besonders hoch angerechnet werden; denn es ist keine Kleinigkeit, nach langer, fast ausschliesslicher Beschäftigung mit den Venezianern sich in einen so völlig verschiedenen Stil zu finden. Was aber soll ich zum Preise von Andreas Madonna sagen? Jedes Lob, und wäre es das überschwänglichste, erscheint hier als matt. Es ist besser, vor solcher unergründlichen Schönheit zu verstummen, als sie mit inadäquaten Worten zu feiern. In der heil. Jungfrau, wie sie auf hohem Postamente anbetungheischend dasteht, vereinigt sich die Göttlichkeit der Himmelskönigin mit aller Reizfülle des irdischen Weibes, und ich kenne ausser der sistinischen keine Madonna, die dem Ideal einer Mutter Gottes so nahe käme, wie diese. Auch der Christusknabe und die untenstehenden heil. Franciskus und Johannes sind von so seltener Vollendung und bilden, mit der heil. Jungfrau vereint, ein so herrliches Ganzes, dass man davor, wie vor einer Offenbarung göttlicher Glorie steht. – Eine zweite, kleinere Madonna von Andrea im Palast Pitti kommt zwar der ebengenannten nicht gleich, ist aber höchst liebenswürdig und mit Vorzügen ausgestattet, wie sie ihr nur der Meisterpinsel des grossen Florentiners verleihen konnte; ich freute mich daher, auch sie in einer des Originals völlig würdigen Kopie Wolfs bei mir aufhängen zu können.

Das fast einzige, wirklich beglaubigte Staffeleigemälde Michel Angelos, die Madonna mit Joseph und dem Jesuskinde in der Tribune zu Florenz, war mir von jeher überaus lieb gewesen und hatte, seit ich es zuerst gesehen, stets vor meinem Geiste gestanden. Manche stossen sich an den, freilich nicht gerade weichen Formen, an dem wenig gefälligen Kolorit; aber mir hat es immer ferne gelegen, wenn ich die Hauptsache an einem Kunstwerk gut fand, wenn es stark zu meinem Gefühle sprach, an Einzelheiten zu mäkeln. Worauf dieser mächtige Eindruck, den Michel Angelos Rundbild gleich zu Anfang auf mich machte und noch fortwährend auf mich macht, beruht, davon vermag ich nicht Rechenschaft zu geben. Der letzte