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Tage vereinbare Beschäftigung. Ich begab mich selbst nach Venedig, teils um Umschau zu halten, teils um von Kirchenvorstehern oder durch Vermittelung des Präfekten die Erlaubnis zum Transporte dieses oder jenes Gemälde einzuholen. Man ist in dieser Hinsicht fast überall in Italien von grösster Zuvorkommenheit, und wo es irgend statthaft, ward mein Wunsch gewährt; in manchen Fällen jedoch standen bestimmte gesetzliche Vorschriften entgegen, und ich musste, um nicht unbillig zu sein, von meinem Vorhaben abstehen. Wolf inzwischen liess sich durch kein Hemmnis, selbst nicht durch ein unbesiegbar scheinendes, zurückschrecken; wenn ihn ein Werk mächtig anzog, wenn er meinen Wunsch, es nachgebildet zu sehen, kannte, machte er sich rüstig an die Arbeit, und führte dieselbe mit eiserner Beharrlichkeit zu Ende, mochte das graue Dämmerlicht, das durch die Kirchenfenster hereinzitterte, ihn das Bild auch nur wie durch einen Schleier erkennen lassen, mochte sein Auge auch von der unaufhörlichen Anstrengung ermüden, seine Hand, von der feuchten Kälte des Dezembers erstarrt, auch nur mit Mühe den Pinsel halten können! In den allermeisten Fällen, da, wo die Umstände nur einigermassen günstig waren, hat er Bewundernswertes geleistet; ich fordere alle Maler der Welt auf, z. B. den grossen Gian Bellin in S. Zaccaria, den Fischer des Paris Bordone, oder den Tempelgang der Maria von Tizian vorzüglicher zu kopiren, als er es gethan hat. Es ist unmöglich; denn Original und Kopie sind hier vollkommen eins; wer wie ich, während des Entstehens der letzteren, beide täglich nebeneinander gesehen und miteinander verglichen hat, nur der vermag dies zu beurteilen, und der weiss auch, welch ungeheuer schwere Aufgabe hier vollführt ist, welcher Riesenfleiss, welche kolossale Anstrengung und zugleich nie ermattende Begeisterung erfordert wurde, um so enorm grosse, figurenreiche Kompositionen in gleichem Format wiederzugeben. Wenn einige wenige seiner Arbeiten nicht so völlig befriedigend ausgefallen sind, so liegt die Schuld an mir, der ich wünschte, dieses oder jenes Bild kopirt zu sehen, ohne zu bedenken, dass dabei Hindernisse entgegenstanden, die unbesiegbar waren. Ist es nun nicht empörend, einem Künstler, der mehr meisterliche Kopien geliefert hat, als vielleicht irgend ein Lebender, einen Vorwurf daraus zu machen, wenn er sich, aus Gefälligkeit gegen mich, hier und da an eine Aufgabe gewagt hat, die überhaupt von Keinem durchaus nach Wunsch gelöst werden konnte?

Mein Hauptaugenmerk war auf Gian Bellin gerichtet. Dieser grosse Maler, den man kaum anderswo vollkommen kennen lernen kann, als in Venedig, wo sich noch seine Hauptwerke befinden, scheint mir bisher noch nicht in seiner ganzen Bedeutung gewürdigt zu sein. In den Werken, die er während seiner neunzigjährigen Lebensdauer schuf, kann man die Kunst von ihrer ersten Entfaltung an bis zu ihrer höchsten Blüte verfolgen. Während in seinen früheren Arbeiten sein grosser Geist sich noch in mühsamem Ringen mit der Form zeigt, die er nicht vollständig zu bewältigen vermag, gewahrt man in seinen späteren Bildern einen stetigen Fortschritt zur immer reiferen Vollendung, und in seinem letzten umfangreichen Altargemälde, das in seinem achtzigsten Lebensjahre entstanden, hat er einen Gipfel der Kunst erklommen, bis zu dem nur Wenige hinanreichen. Tiefe, Adel und Ernst der Auffassung, hohes Stilgefühl und die edelste Formgebung erheben dieses grandiose Werk auf eine der obersten Stufen im ganzen Gebiete der Kunst. Aber der Genuss des Originals ward im höchsten Grade beeinträchtigt durch die Dunkelheit der Kirche S. Zaccaria, auf deren finsterstem Altare es sich befand; nur morgens um zehn Uhr kam es etwas, aber doch nur teilweise, zur Erscheinung. Ein Kopiren an diesem Platze war unmöglich, und mein ganzes Streben musste dahin gerichtet werden, die Versetzung in eine günstigere Oertlichkeit zu erreichen. Nach vielen vergeblichen Bemühungen gelang das endlich, und so konnte Wolf an einer grossartigen Aufgabe seine volle Kraft bewähren. In dieser Arbeit rechtfertigte, ja übertraf er meine kühnsten Erwartungen; ich betrachte seine Kopie als einen meiner grössten Schätze. In der Aufstellung, die ich ihm gegeben, lässt sich das Wunderwerk in einer Weise überblicken, wie es auch heute, wo man es in die Sakristei gebracht hat, in Venedig nicht möglich ist. Diese Maria auf dem Throne, zu ihren Seiten links die Heiligen Petrus und Katharina, rechts Hieronymus und Lucia, zu ihren Füssen der lautenspielende Engel – man weiss nicht, ob man mehr die einzelnen Figuren oder die ganze Gruppe in ihrer Zusammenstellung bewundern soll; Alles ist herrlich und von fast überirdischer Schönheit, so dass man das Auge des Adlers besitzen müsste, um ungeblendet emporzuschauen. Wie oft hat mich die Kälte der meisten Menschen, ihre Unfähigkeit zu wahren Kunstgenüssen befremdet, wenn ich sie teilnahmlos mit einigen flüchtigen Bemerkungen an diesem Bilde vorübergehen sah! Mich ergreift dasselbe zu jeder Zeit; am tiefsten und mächtigsten aber, wenn die Abendstrahlen auf ihm ruhen und es wie in einer Glorie leuchtet, als ob sich der ganze Himmel vor uns aufthäte.

Ein anderes Altarblatt, das Gian Bellin auch schon in beginnendem Alter, jedoch beträchtlich früher malte, steht hinter dem obigen an Grossartigkeit zurück, ist aber von der hinreissendsten, seelenvollsten Anmut und Lieblichkeit. Es zerfällt in drei Teile, deren mittlerer die Madonna mit dem Christkinde in einer Nische enthält, während zu den beiden Seiten sich je zwei Heilige befinden. Zu den Füssen der Jungfrau spielen zwei Engel die Laute, und es sind Engel, wie sie so holdselig kaum je gemalt worden sind. Das Kopiren dieses Gemäldes, das die Sakristei der Frari aufbewahrt, wurde ungemein dadurch erschwert, dass dasselbe nicht von Ort und Stelle entfernt werden durfte; seine Stellung gegen das Licht ist überaus ungünstig, und den grössten Teil des Tages hindurch liegt Dämmerung, bei trübem Wetter fast Nacht auf ihm. Wolf, während seiner Arbeit unter so ungünstigen Umständen oft beinahe verzweifelnd, hat von früh bis spät auf dem Altar stehend