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Bewusstsein der Grösse des ihm anvertrauten Werkes, mit rüstiger Kraft an die Ausführung. Wo Alles bewundernswert ist, fällt es schwer, eine Auswahl zu treffen. Nach einigem Hin- und Herschwanken entschied ich mich jedoch für sieben der Fresken, als für die herrlichsten. Im Zeitraume von etwa drei Jahren vollendete Schwarzer seine Arbeit mit einer Sorgfalt, Liebe und Ausdauer, die nicht genug gepriesen werden können. Man denke sich, wie er auf einem hohen Gerüste, in Lüften schwebend, mit Anstrengung seiner ganzen Sehkraft, vom Morgen bis zum Abend nach oben spähen musste, wie bald die Winterkälte der unheizbaren Kapelle seine Hände erstarren machte, und er dann wieder mit der glühenden, in jener Höhe doppelt empfindlichen Hitze des August zu kämpfen hatte, die seine Kräfte ermatten liess, wie er, um diese oder jene Stelle der Fresken deutlicher zu erkennen, die schmale und gefährliche Seitengalerie betreten und dort unter Lebensgefahr zeichnen musste. Seine Kopien haben bei allen Billigen die entschiedenste Anerkennung gefunden; wer an ihnen mäkeln will, der zeige zuerst, dass diese Aufgabe, vielleicht die schwierigste, die überhaupt einem Künstler gestellt werden kann, sich besser lösen lässt, als es hier geschehen ist. Es kann keine grössere Thorheit geben, als wegen des unerreichbaren Besten das erreichbare Gute zu verschmähen. Schon jetzt sind Schwarzers Arbeiten von unschätzbarem Werte; denn Derjenige, der nicht in Rom lebt, kann durch sie eine viel genauere Vorstellung von Michel Angelos Bildern gewinnen, als durch irgend andere Hilfsmittel, und selbst für den, der die Sistina oft besucht hat, ergänzen sie die Anschauung der Originale, die man nur bei günstigem Lichte, auf dem Rücken liegend, und mit starker Anstrengung der Augen sehen kann. Wenn aber die Urbilder, was sicher bevorsteht, zu Grunde gegangen sein werden, wird man sie wahrhaft heilig halten müssen, da man nirgends sonst den grossen Florentiner so wird kennen lernen können, wie durch sie. Wäre es durch irgend welche Umstände unmöglich gemacht worden, eine Uebersetzung der Ilias zu liefern, wie die von Voss, eine des Shakespeare, wie die von Schlegel, man würde immer noch hohen Genuss aus Stolberg und aus Eschenburg schöpfen können; und dasselbe ist mit Schwarzers Kopien der Fall, wenn sie aus den angedeuteten Gründen auch nicht die höchste Stufe der Trefflichkeit, wo Original und Kopie zusammenfallen, erreichen konnten.

Zwei der Deckengemälde habe ich an einem Plafond anbringen lassen, gewiss der vorteilhaftesten Stelle, die irgend aufzufinden war. Für das dritte war ein gleicher Platz nicht vorhanden; und für die vier Propheten und Sibyllen liess sich in meinen Räumlichkeiten noch weniger die Stelle ermitteln, die eigentlich erfordert ward. Sie müssten, ebenso wie in der vatikanischen Kapelle, in sehr beträchtlicher Höhe gesehen werden; dann aber dürfte auch der Blick nicht durch andere Bilder von ihnen abgezogen werden, am wenigsten durch solche, die durch glänzendes Kolorit bestechen. Da sich dies bei mir nicht einrichten liess, üben sie nicht die Wirkung, die ihnen unter günstigeren Umständen nicht entgehen würde, oder sie werden doch nur von Solchen völlig gewürdigt, die ihr Auge, es gegen die umgebenden Bilder abschliessend, ganz auf sie konzentriren. Wer sich so einmal ihnen genähert hat, wird gewiss wiederholt zu ihnen zurückkehren, und sich mit immer wachsender Bewunderung in sie vertiefen. Es ist zuerst eine Empfindung des Schreckens, die uns vor dem mächtigen Geiste Michel Angelos befällt, als ständen wir vor einem höheren Wesen. Wir wissen, dass er unser tiefstes Herz durchschaut, dass wir ihm vergebens etwas zu verbergen suchen; denn er kennt alle Geheimnisse des Lebens und des Todes. Es ist keine Höhe, die er nicht erflogen hat, kein Abgrund, in den er nicht hinabgestiegen. Seine Riesenschöpfungen scheinen nicht von dieser Welt zu sein: sie blicken wie aus der Ewigkeit auf uns herab, und erst nach und nach gewinnen wir Mut und Vertrauen, uns der grossen Seele des Künstlers hinzugeben, die bald mit erhabener Trauer, bald mit der Begeisterung des gottbegnadeten Sehers in ihnen waltet. Ueberwältigender Schmerz spricht sich im Jeremias aus: es ist, als laste das ganze Weltall auf dem zusammengebrochenen Greise, und als könne er sich nie mehr unter der Wucht des auf ihm ruhenden Wehs emporrichten. Man glaubt, sein Jammerruf werde bis ans Ende der Zeiten nicht verstummen. – Auch Jesaias, eine stolze, jugendliche Gestalt, hat allen Gram der Menschheit empfunden und in finsteren Nächten mit der Verzweiflung gerungen; aber kühn rafft er sich empor aus dem Leid, das ihn zu Boden ziehen will. Prophetisch glüht sein dunkles Auge, und er verkündet, wie das Reich des Bösen enden, wie Gerechtigkeit auf Erden herrschen und das Lamm friedlich bei dem Löwen liegen werde. Die beiden Sibyllen, die delphische und lybische, sind die hehrsten Frauengestalten, welche die bildende Kunst je geschaffen; Töchter der Urzeit, die schon waren, bevor noch das alte Chaos sich geteilt, ragen sie hinüber in das heutige Geschlecht. Von ihren hohen Wolkensitzen fliegt ihr Blick über Raum und Zeit hinweg, und vor den vom Sturm durchwühlten Blättern ihrer geheimnisvollen Bücher weissagen sie die künftigen Weltgeschicke. – Unter den Mittelbildern ist die Erschaffung des Adam von solcher Erhabenheit, dass sie Alles, was andere Künstler hervorgebracht haben, erdrückt, wie die Poesie des Alten Testaments mit ihrem Posaunenschall alle anderen Klänge der Dichtung übertönt. Gott der Vater, wie er in Schöpfungskraft durch den Himmel daherbraust und das erste Leben von sich in den erwachenden Adam hinüberströmt, konnte nur von dem höchsten schöpferischen Genius so dargestellt werden, und nie wieder hat seitdem die Kunst etwas von ähnlicher Grösse hervorzubringen vermocht. – In der Erschaffung der Eva zeigt uns das erste Weib, wie es im Dankgefühl für das eben verliehene Leben vor dem ewigen Vater niederkniet, ein Urbild der Frau, in welchem sich Hoheit und Lieblichkeit in nicht wieder dagewesener Weise vermählen; der Schlaf ist in dem zurückgesunkenen Adam unübertrefflich ausgedrückt; man wagt kaum zu atmen, um ihn nicht zu stören. Auf dem dritten Bilde sind zwei Handlungen, der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradiese, kühn zusammengedrängt;