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getragen, mit ausgebreiteten Armen gen Himmel schwebt, während die niedere Erde unter ihr versinkt. Die überaus gelungene Kopie des verstorbenen trefflichen Malers Karl Fries gibt, wenn auch in verkleinerten Verhältnissen, doch noch einen sehr schönen Begriff von der Herrlichkeit des Tizianischen Werkes. – Ein anmutvolles Bildnis eines Jünglings von Sustermans, einem Niederländer, der sich in Florenz niedergelassen, hat der früh verstorbene Schüler Schwinds, Anton Kraus, geschickt wiedergegeben. – Noch höher stehen die beiden Kopien von A. Cassioli, einem florentinischen Maler, der in seiner Vaterstadt hohen Rufes geniesst. Das Bildnis der Giovanna d’Aragona, das, im Palaste Doria zu Rom, dem Leonarda da Vinci zugeschrieben wird, gehört zu den Perlen der Kunst. Diese Giovanna, eine vornehme Römerin, galt für die schönste Frau ihrer Zeit, und es gibt ein eigenes Buch, in welchem Gesänge von hundert Dichtern zum Preise ihrer Schönheit gesammelt sind. Rafael malte sie, und das sie darstellende Porträt im Louvre zu Paris wird von Einigen für sein Werk gehalten, von Anderen nur für die beste unter zahlreichen Kopien, die von dem untergegangenen Originale vorhanden sind. Die Wiederholung im Palaste Doria ist auf freie Art in die Weise des Leonarda da Vinci übersetzt und mit grösster Feinheit ausgeführt. Das Rom der rafaelischen Zeit scheint freilich ein ganz anderes Ideal von der weiblichen Schönheit gehabt zu haben, als es jetzt den Meisten vorschwebt; denn heute würde man sicher vielen, von den venezianischen Malern verewigten Frauen den Preis des Liebreizes vor dieser kalten Blondine zuerkennen; das thut aber dem Werte des Kunstwerkes keinen Eintrag. – Die Schlacht von Cadore von Tizian war ein grosses, weitberühmtes Gemälde im Dogenpalaste zu Venedig, das durch einen Brand zu Grunde gegangen ist. Nur eine in den Uffizien zu Florenz befindliche Skizze hat uns die gewaltige Komposition aufbewahrt und ist daher ganz unschätzbar, weshalb es mir die grösste Freude gewährte, eine höchstgelungene Kopie derselben von Cassioli zu gewinnen. Rubens zollte dieser Skizze hohe Bewunderung, wie solches eine dieselbe wiederholende Handzeichnung von ihm beweist, und sie hat ihm offenbar bei seiner „Amazonenschlacht“ in der Pinakothek zu München als Muster gedient. Diese Amazonenschlacht ist prächtig; nur vergleiche man sie nicht mit ihrem Vorbilde: denn da tritt die unermessliche Überlegenheit des Venezianers sofort zu Tage. Das grosse Gemälde muss neben Rafaels „Schlacht des Konstantin“ das herrlichste aller Kriegsbilder gewesen sein, ja, da hier die reichere Farbengebung die Macht der Komposition hob, jene an Wirkung noch übertroffen haben. Die Wildheit des Kriegsgetümmels um eine Brücke, das Heruntertaumeln der Kämpfenden von der steilen Felswand, das Niedersinken der Sterbenden auf Tote, macht selbst auf der Skizze einen überwältigenden Eindruck.

Vielleicht der schönste Schmuck des an edlen Kunstwerken so reichen Belvedere in Wien ist die heilige Justina des Moretto. Es gibt einige Künstler, die in einem einzigen Werke so Hochvortreffliches geschaffen haben, dass sie darin mit den grössten ihres Faches konkurriren können, während sie in ihren anderen Leistungen zwar auch sehr achtbar, jedoch nicht auf gleicher Höhe dastehen. Als Beispiel davon unter den Musikern kann man Spontini nennen, dessen Vestalin zu den grandiosesten Schöpfungen der Tonkunst gehört und selbst hinter Don Juan und Fidelio nicht zurücksteht, während schon sein Ferdinand Cortez auf eine etwas tiefere Stufe hinabsinkt, und wir seine übrigen Kompositionen kaum noch demselben Meister zuschreiben möchten. So hat auch Moretto in seiner „Justina“ ein Werk hervorgebracht, das meines Bedünkens seine sämmtlichen anderen Bilder, an denen besonders seine Vaterstadt Brescia noch so reich ist, um Haupteslänge überragt und dem Besten, was die Kunst überhaupt producirte, gleich kommt. Die Heilige, die einen Palmenzweig in der Hand, ein Einhorn zu ihren Füssen, vor einem sie anbetenden bärtigen Manne dasteht, ist eine Gestalt von Majestät und Holdseligkeit zugleich, von ehrfurchtgebietender Hoheit neben anziehender und Vertrauen erweckender Milde, und meines Erachtens ist die Heiligkeit nie schöner in einem Menschenantlitze