Seite:Die Gemälde-Galerie des Grafen A. F. v. Schack.pdf/64

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

worden sind. So finden sich in fast allen Galerien Gemälde, die mit dem Namen des Rubens prangen, aber seines Genius unwürdig sind; solche dagegen, die er mit Sorgfalt und Liebe gemalt – und ihre Zahl ist noch immer Legion – weisen ihm eine Stelle in der Reihe der ersten Künstler an. Ebenso wie seine grossen, wildbewegten Kompositionen, in denen er excellirt, bewährt dies sein Selbstporträt; er hat sich darin zum Range eines der besten Bildnismaler emporgeschwungen. Ein zweites, in welchem sich der Meister in etwas späteren Jahren selbst aufgenommen hat, wirkt weniger anziehend; aber die Kopie, die Lenbach davon geliefert, ist wichtig, weil das Original in den Uffizien sich in einem dem Untergange nahen Zustande befindet.

Nach München zurückgekehrt, kopirte Lenbach für mich noch ein treffliches Bild von Van Dyck: die das Violoncell spielende Gattin des Künstlers, damals noch in Schleissheim befindlich, jetzt in die Pinakothek übergegangen. Nun aber rüstete er sich, einem lange von mir gehegten Wunsche entsprechend, zu einer Expedition nach Spanien. Das Museum in Madrid ist ohne Frage das reichste der Welt, und keineswegs, wie Einige glauben, hauptsächlich durch die Werke der spanischen Maler, von denen man dort allein umfassende Kenntnis gewinnen kann; vielmehr sind alle Schulen daselbst in gleicher Fülle und vorzüglicher Auswahl vertreten. Die Könige aus dem Hause Habsburg waren eben in den beiden Jahrhunderten, als die Malerei ihre schönsten Blüten trieb, die Gebieter Europas, und wenigstens zwei von ihnen zeichneten sich durch ihren feinen Geschmack ebenso, wie durch den Eifer aus, mit dem sie gute Kunstwerke in ihren Besitz zu bringen trachteten. Der Freund des Schönen wird Karl V. für manche Fehler seiner Regierung Absolution erteilen, wenn er bedenkt, dass dieser Monarch den hohen Genius des Tizian erkannte und in vollem Masse würdigte. Auch Philipp IV., unter dessen gewiss nicht mustergültiger Herrschaft das spanische Weltreich schon stark in Verfall geriet, wird uns in günstigerem Lichte erscheinen, wenn wir ihn nicht als Regenten, sondern als den feinsinnigen Mann betrachten, der, wie den Dichter Calderon, so den Maler Velasquez in seine nächste Nähe zog und seine diplomatischen Agenten in halb Europa beauftragte, die besten Gemälde, deren sie habhaft werden konnten, für ihn zu erwerben. Aber selbst die finstere Seele eines Philipp II., die enge und verschlossene Philipps III. war für den Reiz des Schönen nicht ganz unempfänglich, und auch diesen beiden Königen verdankt Spanien den Besitz manches kostbaren Gemäldes. So bewahrt das Museum von Madrid, wo jetzt das früher in verschiedenen Schlössern Zerstreute zusammengedrängt ist, einen Schatz von unermesslichem Werte und einzig in seiner Art. In diesen Räumen hat sich noch der sonst so tief erblichene Glanz des Reiches erhalten, in dem die Sonne nicht unterging.

Der Kunstfreund, der Madrid besucht, denkt natürlich zuerst an die Spanier, die dort in höchster Trefflichkeit und fast zahllosen Exemplaren repräsentirt sind; indessen, wenn er das Museum betritt, bemerkt er doch bald, dass die einheimischen, wie alle anderen Künstler, vor den Italienern, als den Königen der Malerei, zurücktreten. Besonders aber ist es der mächtige Genius des Tizian, der hier als Alleinherrscher waltet, so dass selbst Rafael, obgleich eine Menge seiner Hauptwerke vorhanden, in Gefahr kommt, von ihm herabgedrückt zu werden. Ich bin immer der Meinung gewesen, der gewaltige Venezianer werde noch nicht in seinem vollen, immensen Werte begriffen. Wie sehr sich ihm in neuerer Zeit auch die Bewunderung zugewandt hat, so ist man doch immer geneigt, in ihm vorzugsweise den Maler des sinnlichen Reizes, den unübertrefflichen Koloristen zu ehren. Aber wiewohl es wahr ist, dass er als unumschränkter Gebieter im Reiche der Schönheit dasteht und ihm Keiner hierin die Palme entreissen kann, so erschöpft sich damit doch nicht entfernt seine Bedeutung; vielmehr ist die Universalität, das Allumfassende seines Genies das Wunderwürdige an ihm, und man weiss nicht, ob man mehr seine Höhe oder seine Tiefe bestaunen soll. Das Erhabenste und Grösste, das Mächtige und Erschütternde gehört ebenso zu seiner Domäne, wie das Süsse, Liebliche und Herzbestrickende. Ist je ein Bild von so tragischem Pathos bei rührendstem, die ganze Seele bewältigendem Ausdrucke des Schmerzes hervorgebracht worden, als seine „Grablegung“ in Paris? je eines von so hinreissendem, uns auf den Flügeln der Begeisterung durch alle Himmel dahintragendem Schwunge, wie das prachtvolle Gemälde der „Dreieinigkeit“ oder „der himmlischen Glorie“ in Madrid, das über dem Sarge Karls V. in St. Just aufgestellt war? Hat selbst Michel Angelo etwas Kühneres, Gigantischeres geschaffen, als Tizians „Prometheus“ eben hier ist? Und neben diesen Riesenwerken die beinahe endlose Reihe von Bildnissen, in denen er fast allen bedeutenden Menschen seiner Zeit unvergängliche Dauer geliehen hat: den Kriegern und Feldherren, den Staatsmännern und Dichtern, den Jungfrauen mit ihren holden Engelsgesichtern, wie den ehrwürdigen Matronen! Wie hat er in seinen Schlachtbildern die bewegtesten, vom Sturme des Kampfes durcheinander gewirbelten Gruppen mit seinem Zauberstabe berührt und auf die Leinwand gebannt, so dass der flüchtig vorüberrauschende, kaum fassbare Augenblick für alle Zeiten fortwährt! Und nun, neben dem strengen, oft fast erschreckendem Ernste so vieler Werke der bunte Farbenteppich des fröhlichsten Lebens, den er in anderen vor uns ausbreitet, wie in dem von Regenbogenpracht umglänzten Bilde „Bacchus und Ariadne“ zu London, oder dem ähnlichen hier!

Unter den fast fünfzig Gemälden Tizians in Madrid war mir von jeher eines als das grösste erschienen, als ein Werk von so einziger und erstaunlicher Bedeutung, dass im weiten Gebiete der Kunst sich nur wenige in seine Nähe wagen können. Es ist dies das grosse Reiterbildnis Karls V. Nie ist das ganze Leben eines Menschen, des Mächtigsten seiner Zeit, nie sein innerstes Wesen in so überwältigender Kraft, mit so überzeugender Wahrheit in einer Figur hingestellt worden. Dieser Karl, der Sohn einer wahnsinnigen Mutter, der schon als Jüngling mit gebrochenen Kräften zur Beherrschung eines ungeheuren Reiches gelangte und eine Last auf sich gelegt fühlte, die zu tragen er unfähig war, der ruhelos von einem Lande zum andern irrte, und aus dem wirren, um ihn entfesselten Weltgetriebe sich früh das Grab als Zuflucht ersehnte, steht hier ganz und voll vor uns, wie ihn kein Geschichtsschreiber erkannt und zu schildern vermocht hat, wie ihn nur ein Seher und Prophet – denn als solcher erscheint Tizian hier – zu erfassen im Stande war. Diese bereits früh vom Alter gebeugte Gestalt, dies bleiche Antlitz mit den tief-melancholischen Zügen, erfüllt uns mit unendlicher Wehmut; und wie wir den lebensmüden Kaiser, dessen ermattete Hand kaum die Lanze zu halten vermag, auf dem schwarzen Rosse an uns vorübersprengen sehen, möchten wir ihm in das Grab folgen, wo all sein Leid enden soll. Ebenso staunenerregend wie der Tiefblick, mit welchem der Künstler die Seele seines Helden bis in ihre innersten Falten zerlegt hat, mit dem er schon bald nach der Schlacht von Mühlberg – denn damals ist das Bild gemalt – als der Kaiser auf dem Höhepunkte seiner Macht stand, seine freiwillige Weltentsagung vorausverkündet, ist der Glanz der äusseren Erscheinung, in welchem er ihn uns vorführt. Die Tiefe und Pracht der Farbe sucht ihresgleichen, besonders in der Landschaft; dann aber gleichfalls in dem Kolorit des schwarzen Rosses, der Rüstung und des Helmes. Damit kontrastirt die leichenhafte Blässe des Gesichtes zur ungeheuersten Wirkung. Besonders gewaltig ist der Eindruck, wenn der Abendschatten sich auf das Bild legt, und der Reiter, wie ein Geist des Grabes, gespenstisch an uns vorüberzugleiten scheint. – Man hört bisweilen wohl Bemerkungen über das Pferd, dass es aller Naturwahrheit spotte, und gewiss hat Tizian auch kein