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zu reproduziren. Wie wenige Landschaftsmaler können hierin mit ihm wetteifern, und wie wenige vermögen aus ihren, ängstlich nach der Wirklichkeit aufgenommenen Skizzen ein so getreues Bild der Natur in ihren wesentlichen Zügen herzustellen? Und nur auf diese wesentlichen Züge, auf die Seele und Physiognomie des Ganzen, nicht auf die zufälligen Einzelheiten kommt es an.

Ein heiliger Hain gemahnt an die zuerst von mir genannte Waldlandschaft, von welcher er, der Entstehung nach, durch viele Jahre getrennt ist. Der Maler hat hier einen von Einhörnern bewachten Zauberwald der Armida dargestellt und in dem undurchdringlichen Dunkel der dicht verschlungenen Wipfel scheinen wunderbare Geheimnisse sich zu bergen. Als ich einmal bei Böcklin eintrat und ihn bei diesem Bilde beschäftigt fand, fuhr er wie aus einem tiefen Traume auf und sagte mir, er habe schon seit frühem Morgen an dem Wald gemalt und sich alle die Herrlichkeiten vorgestellt, die darin verborgen seien. Das zeigt den echten Künstler, und nur Demjenigen, der mit solcher Hingebung, mit solchem Versunkensein in seine Arbeit schafft, gelingen so zauberische Wirkungen, wie unserem Böcklin in fast jedem seiner Gemälde.

Die altrömische Weinschenke ist einzig in ihrer Weise, so eigenartig in Erfindung und Behandlung, dass ich keinen Maler der alten und neuen Zeit kenne, aus dessen Phantasie etwas Aehnliches hätte hervorgehen, und dessen Pinsel es hätte ausführen können. Ich halte es sogar für unmöglich, dies Bild zu kopiren. Das Motiv ist aus der Gegend vor der Porta del popolo zu Rom genommen; doch wir werden um zwei Jahrtausende zurückgeführt, und die nun wenig reizende Lokalität steht in ihrer alten Gestalt, mit Weingärten überdeckt, und vom Jubel des Bacchusfestes, von frohen Gruppen zum Teil trunkener Menschen belebt, vor uns. Man kann das Werk stundenlang betrachten und findet immer neue Schönheiten daran zu bewundern.

Schwermutsvolle Stimmung waltet in der düstern Herbstlandschaft, durch die der Tod hinreitet. Es ist Spätherbst. Die letzten welken Blätter, gelb und rot, hängen an den Bäumen und schauern hernieder, wie der Tod auf seinem schwarzen Rosse daherzieht; eine halbzerfallene Ruine scheint bei seinem Nahen noch tiefer in Trümmer zu sinken; wir meinen, das Knistern in dem zerbröckelnden Gestein zu hören. – Ebenso heiter, wie das frühere Gemälde finster und melancholisch, ist die italienische Villa im Frühling. Wohl selten wurde der Reiz eines grünenden, blumenübersäten Abhangs, der duftige Schatten einer Cypressenallee so dargestellt, wie hier. Aus dieser Landschaft, welche in die ganze Reinheit des südlichen Himmels getaucht ist, wehen uns alle Wonnen Italiens an.

Das letzte Bild, das Böcklin für mich malte, möchte auch sein grossartigstes sein: ein Triton, in der Mitte des sturmgepeitschten Oceans auf einer Felsklippe sitzend, stösst in sein Muschelhorn, um die anderen Meerbewohner heranzurufen. Neben ihm ruht eine Nereide rückwärts auf dem Felsgestein und liebkost eine mächtige Schlange, die wahrscheinlich ihre Gespielin auf dem Meeresgrunde ist. Es herrscht ein wilder Jubel in dieser Scene; man glaubt, das Sausen und Wehen des Naturgeistes, das Jauchzen der Elementargeister im Kampfe der entfesselten Mächte des Meeres und der Lüfte zu vernehmen. Leute, welche blind für echte Schönheit, unempfänglich für Alles sind, worauf die wahre Bedeutung eines Kunstwerkes ruht, suchen sich oft eine Kennermiene zu geben, wenn sie den Arm der Nereide für verzeichnet erklären. Es ist fast unglaublich, wie Unwissenheit und Unbildung sich beim Besuche von Gemäldegalerien, sowie überhaupt im Gebiete des Schönen breit machen. Ich habe darin das Aergste erlebt und will, dessen zum Beleg, zunächst einen Fall erzählen, der mir unlängst in Rom vorkam. Ich hatte dort am Vormittage zwei deutsche Damen im Vatikan getroffen, welche laut die abgeschmacktesten Aeusserungen über die Statuen mit so weiser Miene machten, als ob sie die tiefsten Kunstkenntnisse besässen; sie waren von zwei Herren begleitet, die ihre thörichten Auslassungen wie Orakelsprüche zu verehren schienen. Am Abend führte mich der Zufall in die Nähe derselben beiden Damen, und ich hörte die Eine sagen: „Welch ein Unsinn, eine Marmorbüste als das Bild des Homer zu bezeichnen; ein Jeder weiss ja, dass Homer nie gelebt hat.“ Hierauf antwortete die Andere laut: „Aber liebe Luise, wie kannst du nur das sagen? – Homer hat ja so hübsche Sachen geschrieben! wie magst du da behaupten, dass er nie gelebt hat?“ Diese beiden Damen können als Typen von neun Zehnteilen Derjenigen gelten, deren Geschmack und Urteilskraft heute für das Schicksal neuer Erscheinungen in Kunst und Litteratur massgebend ist; nur so lässt sich erklären, wie die mittelmässigsten und schlechtesten Produkte auf beiden Gebieten meistens mit grossem Beifall aufgenommen werden, gute dagegen keine Beachtung finden. – Von Vorgängen, wie dem obigen, bin ich fast jedesmal Zeuge, wenn ich in meine Galerie, während der Stunden, wo sie dem Besuche geöffnet ist, trete. In der Mitte des einen Ganges steht ein Tisch, für welchen der im Hause des Michel Angelo zu Florenz befindliche als Muster gedient hat. Auf der Platte dieses Tisches ist die Decke der sistinischen Kapelle sehr deutlich abgebildet. Man sollte denken, Jeder, der nicht völlig fremd auf dem Gebiete der Kunst ist, müsse doch einmal wenigstens einen Kupferstich oder eine Photographie dieser vielleicht grössten malerischen Schöpfung aller Zeiten gesehen haben. Nun finde ich aber sehr oft anscheinend gebildete Leute, die sich vor diesem Tische den Kopf darüber zerbrechen, was wohl die Figuren darauf bedeuten möchten. Die meisten glauben, die Bilder stellten ein Märchen, etwa wie Schwinds „sieben Raben“ vor, und eben die nämlichen Kenner wissen dann an jedem Gemälde dies und das zu tadeln. Mit der Beurteilung eines Bildes, das den Künstler Jahre des angestrengtesten Fleisses gekostet hat, sind sie in wenigen Sekunden fertig. Der Eine findet ein Bein zu lang, der Andere findet es zu kurz; dem Ersten erscheint ein Gesicht zu klein, der Zweite meint, es sei zu gross. Mehrenteils sind solche Bemerkungen völlig aus der Luft gegriffen und zeugen nur von der Unwissenheit Derer, die sie aussprechen. Aber wäre auch einmal ein solcher Tadel berechtigt, und eine Verzeichnung wirklich vorhanden, so kann doch nur eine gänzliche Unerfahrenheit wähnen, ein Bild sei wertlos, weil irgendwo auf demselben die Zeichnung mangelhaft ist. Bilder der grössten Meister sind oft von einzelnen Gebrechen nicht frei; auch bei Rafael hat man dergleichen nachgewiesen. Dann aber nennt man sie „gelehrte“ Fehler. Es ist wahr: mit Rücksicht auf das Ganze eines Bildes kann bisweilen ein Teil desselben nicht genau so dargestellt werden, wie es der Wirklichkeit entspricht; und dann sind Maler, welche gerade für die grössten Meister der Zeichnung gelten, absichtlich und höhern Zwecken zu Liebe, von der sogenannten Richtigkeit abgewichen. Diese Fälle indes gehören zu den selteneren; viel häufiger kommen unwillkürliche Inkorrektheiten vor. Akademische Künstler, die keine Phantasie haben und immer nach Modellen arbeiten, lassen sich deren vielleicht am wenigsten zu Schulden kommen, und wenn das Nichtvorhandensein von Zeichnungsfehlern das wichtigste wäre, würden Gemälde des Dominichino, der Caracci denen der grossen Venezianer vorzuziehen sein. Nun aber stehen diese göttlichen Werke, trotz der nicht selten vorhandenen Mängel in den Umrissen, nach dem jetzt glücklicher Weise allgemein gewordenen Urteil, himmelhoch über jenen, meist kalten und seelenlosen Produkten, die mehr der Fleiss und die Anstrengung, als die Begeisterung erschaffen hat. Es hindert uns nicht an der Bewunderung von Palmas herrlicher „Heiliger Familie mit dem Johannes“ in Dresden, dass ein Arm der Madonna zu kurz ist; wir halten die Venus des Tizian in der Tribune von Florenz für eines der schönsten Bilder der Welt, trotz der Unrichtigkeit der Perspektive auf die im Hintergrunde befindliche Dienerin.