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wurde als Werk des grossen Allegri viele Jahre lang im fürstlichen Palais von Einheimischen wie Fremden bewundert. Da fügte der Zufall, dass der Tiroler Maler U. die Galerie jenes Palastes besuchte, des Gemäldes ansichtig wurde und erstaunt zu seinen Freunden äusserte, er sei höchst überrascht, ein von ihm selbst in früher Jugend gemaltes und als misslungen verworfenes Bild hier unter dem Schilde des grossen Italieners vorzufinden. Er zeigte ihnen hierauf an der durch den Rahmen halb bedeckten Rückseite seinen Namen; bald ward die Sache ruchbar und der herrliche Correggio wurde, nachdem sein Ruhm erloschen war, sei es beiseite geschafft, sei es mit der wahren Bezeichnung versehen. – Man darf sich übrigens nicht wundern, wenn das grosse Publikum sich dergestalt von Namen düpiren lässt, da selbst höchst geistvollen, von Enthusiasmus für das Schöne glühenden Männern das Gleiche begegnet ist. Einen bemerkenswerten Beleg hierzu gibt folgender Fall. In der ehemaligen Düsseldorfer Galerie befand sich ein „Johannes in der Wüste“, der für ein Werk des Rafael galt. Dieses Bild nennt der geniale Heinse das erste Meisterwerk der dortigen Sammlung und sagt in ekstatischer Weise davon: „O wie oft, heiliges Bild, hast du mich, am stillen Abend einsam unter deinem Einfluss sitzend, Alles in der Welt vergessen gemacht! In dir, und durch dich, bin ich in Tiefen versunken, und bin von ihnen verschlungen worden, wie ein Nichts; und bin mit Schrecken und Furcht wieder daraus erwacht, und ich habe in dir und durch dich wieder die Ruhe der Seele gefunden.

Stündest du in einer alten Kapelle, am Fuss eines waldigen einsamen Gebirgs, dann würdest du recht die Wallfahrt der Weisen sein.“

Noch viel überschwänglicher in seiner Verherrlichung dieses Johannes ist Georg Forster. Er sagt in seinen Briefen vom Niederrhein: „O du mit der Engelseele, aus deren Abgrund du diese entzückende Erscheinung heraufzaubertest und sie zugleich als Bild des Edlen dachtest, der sich noch nicht wert hielt, seines höheren Freundes Füsse zu berühren, – wer bist du, dass ich bei deinem Namen dich nennen mag, nicht bloss dich denken muss, als den ernsten Schöpfer dieses Johannes? Doch wer du auch seist, hier lebt ein Abdruck deiner Kräfte, in dem wir dich bewundern und lieben.

Wenn im Sturme wechselbringender Jahrtausende die jetzigen Einkleidungen des Wahren längst verschwunden und vergessen sind, und es eben so unmöglich sein wird, unsere Hieroglyphen, als es uns jetzt ist, die ägyptischen, zu entziffern; dann bliebe dieses Gemälde, falls ein glücklicher Zufall es bis dahin erhielte, jener späten Zeit ein Vereinigungspunkt mit der Blütezeit unserer heutigen Kunst; ein Spiegel, in welchem man die Bildungsstufe und den Geist des vergangenen Geschlechtes deutlich erkennen und ein lebendiges, solange es Menschen gibt, verständliches Wort, wodurch man vernehmen würde, wie einst der Sterbliche empfand und dachte, der dieses Zeugnis seiner Schöpferkraft hinterliess. Jeder Zug dieses Johannes bürgt für den Dichtergenius seines Urhebers, wenn nicht schon die eigentümliche Behandlungsart sein Verdienst erwiese. Nie zeichnete ein Florentiner richtiger und schöner; und bei dieser Wahrheit des Farbenschmelzes vermisst man Tizians magischen Pinsel nicht. Rafael, dem man hier das Gemälde zuschreibt, hat zu keiner Zeit den Grad der Vollendung im Kolorit gezeigt.“

Der „göttliche“ Johannes ist, nachdem er mit den sämtlichen Düsseldorfer Schätzen nach München gekommen und dort in der Pinakothek aufgehängt worden, mehr und mehr in der Achtung gesunken. Lange Zeit ward er mit dem Namen des Giulio Romano bezeichnet; dann fand man, dass er doch auch für diesen Maler zweiten Ranges zu gering sei, und jetzt gilt er für die Arbeit des mittelmässigen Salviati. Uebrigens könnte man geneigt sein, zu beklagen, dass er nicht noch für das Produkt eines grossen, wenn auch unbekannten Meisters ausgegeben wird; es ist wohl sicher, dass es ihm dann an gleich begeisterten Bewunderern, wie Heinse und Forster es waren, nicht fehlen würde.

Ich bin weit entfernt, mit obigen Bemerkungen das Streben der Lenker öffentlicher Kunstinstitute, auch noch heute Gemälde der grossen Alten zu sammeln, für thöricht zu erklären. Nur Uebelwollen oder Unkenntnis kann leugnen, dass in mehreren der Sammlungen, welche im wesentlichen erst in unserm Jahrhundert angelegt worden sind, namentlich in der Nationalgalerie in London, dem Museum von Berlin und der Eremitage in Petersburg, viel Ausgezeichnetes zusammengebracht worden ist. Ich wollte nur darlegen, aus welchen Gründen ich zu keiner Zeit gesonnen war, mich dem mit dem Ankaufe alter Gemälde verbundenen Risiko auszusetzen. Wohl ist eine gewisse Gefahr auch bei der Acquisition von Bildern der Neuzeit vorhanden; aber Jeder sieht, dass, wenn einiges Verständnis dabei obwaltet, sie hier geringer ist. – Ein zweiter Grundsatz, den ich mir feststellte, war, mich (abgesehen von den Kopien) auf die Erwerbung der Arbeiten deutscher Künstler zu beschränken. So fern es mir liegt, die Leistungen der französischen und belgischen Malerei in unserm Jahrhunderte zu verachten, kann ich doch die schon seit Jahrzehnten gehegte Ueberzeugung nicht aufgeben, dass dieselben beträchtlich überschätzt worden sind, und ich glaube, dass die allgemeine Meinung mir hierin schon jetzt recht gegeben hat. Schwerlich würden die Bilder Gallaits, namentlich die spätern, oder gar diejenigen de Biefves, wenn sie sich von neuem bei uns produzirten, wieder mit einem solchen Weihrauchqualm begrüsst werden, wie ehedem. Als ich unlängst mit mehreren gebildeten Künstlern, die früher für Horace Vernet geschwärmt hatten, die Galerie von Turin besuchte, betrachteten wir lange ein grosses Porträt Karl Alberts zu Pferde, von diesem, ehemals so berühmten Franzosen, und konnten nicht fassen, wie die Produktionen eines Malers, der etwas so durchaus Geringes geliefert, je hatten Beifall finden können. Und doch haben die grössten Souveräne um das Glück gebuhlt, Mitglieder ihrer Familie oder Ereignisse ihrer Regierung von Vernet gemalt zu sehen. Freilich, das feine Kunstgefühl Karls V., der keinem andern, als dem Tizian zu Porträtdarstellungen sitzen wollte, oder Philipps IV., der das hohe Talent des Velasquez, schon als dieser noch Jüngling war, erkannte und ihn während seines ganzen Lebens beschäftigte, sucht man auf den Thronen der Gegenwart vergebens! – In Frankreich scheint es übrigens wie in Deutschland gegangen zu sein; untergeordnete Talente usurpirten Jahrzehnte lang den Ruhm, der anderen bedeutendern, aber bescheidenern gebührte; z. B. ist Eugen Delacroix, der bei seinen Lebzeiten nur in engeren Kreisen verehrt wurde, oder doch, wenigstens in Deutschland, kaum neben Delaroche und Vernet genannt ward, seit seinem Tode zu einem Ansehen gelangt, das wahrscheinlich dauernder sein wird, als das der erwähnten. – Einmal teilte ich nicht die Bewunderung französischer und belgischer Kunst, die an der Tagesordnung war, dann aber missbilligte ich auch von jeher jene bei uns herrschende Sucht, das Ausländische vor dem Einheimischen zu bevorzugen. Kein anderes Volk hat sich dieser Untugend in solchem Grade schuldig gemacht, wie das deutsche, und leider währt sie noch heute, wo man so viel von Nationalgefühl spricht, in ungeschwächter Weise bei ihm fort. Noch heute ist es geneigt, das, was in Kunst und Litteratur in fremden Ländern produzirt wird, für besser zu halten, als die Leistungen inländischer Talente, welche es alle Bitterkeit der Verkennung kosten lässt.

Wenn mich der Wunsch, von dem genannten Fehler meiner Landsleute frei zu bleiben, bestimmte, nur Bilder deutscher Maler in meiner Galerie aufzunehmen, so stellte ich mir weiter das Axiom fest, mich bei der Wahl derselben nicht durch berühmte Namen bestechen zu lassen. Abgesehen davon, dass mich der Ruhm des Tages nie geblendet hat, schien es mir lohnender,