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hat sich von solchen Prinzipien leiten lassen, auch nicht die Venezianer, obgleich diese sich schon etwas mehr dem Naturalismus zuneigten. Erst in der Zeit des Verfalls der Caravaggio und Spagnoletto wurde dieser Naturalismus herrschend. Aber auch sie, die immer gewaltige Talente waren, hielten sich doch noch von dem Irrtum frei, ihren Gemälden den Schein der Wirklichkeit zu geben und die darauf befindlichen Gegenstände so darstellen zu wollen, als wären sie leibhaftig darauf vorhanden, als könnte man sie mit Händen fassen. Dieses Kunststück ist keineswegs schwierig; jeder Anfänger lernt es bald. Aber es heisst die Aufgabe der Kunst ganz verkennen, wenn man es sich als Ziel vorsteckt. Man würde schliesslich das Erstrebte dadurch noch vollkommener erreichen, dass man Figuren kleiner Bäume, Wellen u. s. w. basreliefartig in Holz schnitzen liesse und sodann bemalte. Der von gleicher Tendenz geleitete Bildhauer sollte eigentlich seine Statuen mit wirklichen Kleidern behängen, um sie desto täuschender zu machen; es zeugte aber schon von Verfall und Entartung, als römische Bildhauer die Gewänder ihrer Figuren aus anderfarbigen Steinarten fertigten.

Glücklich, in den Besitz eines Werkes, wie die „Europa“ zu gelangen, drang ich sogleich in den Meister, andere Arbeiten für mich in Angriff zu nehmen. Da ich überzeugt war, dass dieselben am besten geraten würden, wenn er diejenigen seiner Skizzen ausführte, die ihm am meisten am Herzen lagen, stellte ich die Wahl im wesentlichen ihm selbst anheim. Er aber, in der Freude, lang gehegte Wünsche erfüllt zu sehen und Erfindungen, in die er das Beste seines Geistes ergossen hatte, aus der noch unvollkommenen Form, an die sie bisher gebunden gewesen, befreien zu können, machte sich rüstig ans Werk. Mit dem Gelingen der „Europa“ war sein Selbstvertrauen gewachsen. Seine Augen leuchteten in Jugendfeuer, und die Kraft seiner besten Jahre schien ihm zurückgekehrt, nur dass seine früher bisweilen ausgelassene Phantasie, seine übermütige Laune durch das weise Mass des spätern Lebensalters gezügelt wurde. Alle Schleusen hatte der übersprudelnde Strom seines Genius durchbrochen, und in unerschöpflicher Fülle ergoss sich derselbe, während des Lebensrestes, der dem Meister noch vergönnt war, in die mannigfaltigsten Gebilde. Cyklopen und Centauren wurden durch ihn aus zweitausendjährigem Schlafe geweckt und mit so frischem Lebensblute erfüllt, dass sie unter uns zu wandeln und zu atmen scheinen. Die Götter- und Heroenwelt der Griechen feierte unter seinen Händen ihre Auferstehung. Aber daneben drängte sich auch das biblische Altertum mit den heiligen Gestalten seiner Männer und Frauen, und das Reich der Phantasie that sich auf, um Wesen, die nie ein menschliches Auge erblickt, in so überzeugender Wahrheit, als ob wir lange mit ihnen gelebt, vor uns hintreten zu lassen.

Als das Werk, das er zunächst für mich in Angriff zu nehmen wünsche, weil er glaube, die Komposition sei ihm ganz besonders gelungen, bezeichnete mir Genelli Herkules und Omphale, und ich willigte sofort freudig in seinen Wunsch. Er hatte dasselbe entworfen, um die Wand eines Speisesaales zu schmücken; die Ausführung in Oelfarben kostete ihn zwei und ein halbes Jahr, denn er war unermüdlich und gönnte sich nicht eher Ruhe, als bis Alles, selbst die kleinste Einzelheit, sorgfältig vollendet war. Das Bild ist minder glänzend in der Farbe als die Europa, aber feiner und auch im Kolorit von unaussprechlichem Reiz, den ich nicht für die gepriesensten koloristischen Bravourstücke hingeben möchte. Man kann nichts Undankbareres unternehmen, als die detaillirte Beschreibung eines Gemäldes. Ich mache daher hier, wie auch in der Folge, keinen Versuch einer solchen, und verweise nur auf die in dem Verzeichnis meiner Sammlung befindliche, vom Künstler selbst herrührende Erklärung der Komposition. Dieselbe zerfällt in drei Teile, von denen der mittlere den Herkules darstellt, wie er bei Omphale in Gegenwart des Bacchus und seines Gefolges zur Leyer singt, der obere die Geschichte das Ganymed, der untere den Hochzeitszug des Bacchus und der Ariadne. Der letztere ist von der ausgelassenen Laune eines Aristophanes durchdrungen, die doch durch den edelsten Schönheitssinn gezügelt wird. Alle drei in ihrer Zusammengehörigkeit sind würdig, den Göttersaal des Zeus zu schmücken. Es leuchtet über dem Ganzen die reine Sonne Griechenlands in einer Klarheit, wie sie seit der Zeit des Altertums nicht wieder gesehen worden ist; denn von Rafaels Amor und Psyche in der Farnesina muss man, ohne ihrer Herrlichkeit zu nahe treten zu wollen, doch sagen, dass sie mehr den Charakter eines romantischen Märchens trage, und Giulio Romanos „Gigantensturz“ in Mantua, sowie die mythologischen Darstellungen des Caracci im Palast Farnese, haben meines Bedünkens nichts vom ächthellenischen Geiste; vielleicht nur in Tizians „Bacchus und Ariadne“, in der Nationalgalerie zu London, und dem ähnlichen in Madrid weht davon auch ein Hauch. Genellis Bild ist ein begeisterter Hymnus auf die Schönheit und Lebensfreudigkeit, die mit dem alten Hellas untergegangen zu sein scheint, aber uns aus dessen ewigen Kunstwerken und Dichtungen noch anleuchtet und die Seele mit Sehnsucht, wie nach einem verlorenen Paradiese der Jugend, erfüllt. Alle Gruppen, die der Meister hier versammelt hat, scheinen in himmlischer Wonne aufzugehen. In Jubel schiessen die Bäume auf, sich in Zweige und Aeste ausbreitend, auf denen sich göttliche Gestalten wiegen, und man glaubt, das unsterbliche Gelächter beim olympischen Festmahl durch sie hintönen zu hören.

Schon bevor Genelli das erste seiner grossen Werke für mich vollendete, war Karl Ross eines frühzeitigen Todes gestorben. Noch auf seinem Krankenlager liess er sich täglich Bericht über den Fortgang der Arbeiten seines Lieblings geben, und die Ueberzeugung, selbst dazu mitgewirkt zu haben, dass dieser nun endlich, nach so langer Verkennung, in den Tempel des ewigen Ruhmes eingehen werde, breitete einen verklärenden Schimmer um sein sterbendes Haupt. Möchte auch ihm, wie wegen seiner eigenen Leistungen, so wegen der schönen und hingebenden Begeisterung, in der er für seinen grossen Freund glühte, ein ehrendes Andenken bei der Nachwelt zu Teil werden!

Inzwischen hatte der edle Grossherzog von Sachsen-Weimar, der würdige Nachfolger Karl Augusts, Genelli ein Asyl geboten, durch das er in günstigere Lebensverhältnisse versetzt ward, als er sie bisher je genossen. Der Künstler fuhr dessenungeachtet fort, für mich zu arbeiten. Bei meinen jährlichen Reisen nach Norddeutschland richtete ich es meistens so ein, dass ich einige Tage an seinem neuen Aufenthaltsorte verweilte. Ich fand ihn stets aufs eifrigste bei der Arbeit, und er konnte sich nie Genüge thun. An Herkules und Omphale namentlich, seinem Lieblingsbilde, war er, nachdem es dem Profanen schon vollendet schien, noch fast ein Jahr lang beschäftigt, damit es vollständig seine eigenen Ansprüche befriedigte. Wenn er während des Tages, sich kaum eine Stunde der Ruhe gönnend, gezeichnet und gemalt hatte, brachte er den Abend, oft bis tief in die Nacht hinein, in heiterer Weise mit mir zu, und nicht selten gesellte sich sein treuer Freund und glühender Bewunderer, der grosse Landschaftsmaler Preller, zu uns. Am liebsten erzählte Genelli dann von seinem Aufenthalte in Rom und sein Auge leuchtete heller, so oft er die Götterbilder des Vatikan, die Galathea Rafaels und die Fresken des Michel Angelo schilderte oder der Stunden gedachte, die er unter den immergrünen Eichen der Villa Ludovisi, unter den Pinien der Gärten Doria-Pamfili verbracht. In der Litteratur hatte er keine grosse Belesenheit; er gestand, dass eigentlich für ihn nur drei Bücher existirten: das Alte Testament, Homer und Don Quixote. Diese kannte er aufs genaueste, wusste sie fast auswendig und citirte sehr häufig aus ihnen. Auch Dante hatte er viel gelesen, wie seine geistvollen Zeichnungen zur göttlichen Komödie beweisen; er sagte mir indes, dieser Dichter sei ihm doch weniger homogen. Für Firdusi, mit dem ich ihn bekannt machte, gelang es mir, ihm lebhaftes Interesse einzuflösen, und er