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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Häuser, meist Fachwerkbauten aus vergangenen Jahrhunderten, mit den vielen Läden und Wirtschaften, die mehr Inschriften in englischer Sprache haben als in deutscher; ist doch die Sprache Albions nun einmal das Seemannslatein, und „Wine, beer and 8pirits“ oder „Ship-Chandler“ (Händler für Schiffer) oder „Barber-Shop“ (Barbierladen) versteht auch der Schwede und der Portugiese. Die „seebefahrene Menschheit“ Deutschlands, die dort wohnt oder verkehrt, ist übrigens trotz ihrer vielsprachigen Eigenart so kerndeutsch und gut reichstreu wie nur irgend ein deutscher Stamm.

An einer Kasse der St. Pauli-Landungsbrücke.

Da legt die Hafenfähre an; nur zehn Pfennige die Person kostet es, und man sieht so ziemlich dasselbe wie auf den etwas hübscher ausgestatteten Dampfern der Hafenrundfahrt, die in mancherlei Abstufungen bedeutend teurer sind. Die Fährdampfer berühren alle „Höfte“ (Spitzen, Kopfenden) der Quais; die Rundfahrtdampfer fahren weiter in die vielen Hafenbecken hinein, so daß man die Schiffe, die Elbbrücken, die Krähne etc. bequemer besichtigen kann. Wer aber die Hamburger Hafenbevölkerung in der Nähe kennenlernen will, der gehe auf den Fährdampfer! Dort wird unverfälschtes richtiges Plattdeutsch gesprochen. Fein genug ist heute aber auch hier die Toilette der meisten Passagiere; wenn „Jan Maat“ (so nennt sich der Matrose am liebsten, der Ausdruck älterer Romane „Teerjacke“ ist ihm völlig fremd) sonntäglich an Land geht, versteht er ebenso gut, sich „aufzudonnern“, wie die Mutter dieses schönen Worts, die Berliner Köchin.

Das Hamburger Sonntagspublikum aber wendet sich weder der „Fähre“, noch der „Rundfahrt“ zu; es wallt in immer stärker werdenden Scharen nach den Kassen an den Eingängen zu den langgestreckten Pontons der St. Pauli-Landungsbrücke, dem Hauptanlegeplatze aller der größeren und kleineren Flußdampfschiffe, die nach den vielen Vergnügungsorten der Stromufer fahren, meist elbeabwärts belegen. Denn zwischen Altona und Blankenese bietet das bergartig aufsteigende rechte Elbufer mit seinen unzähligen Landhäusern und -häuschen inmitten grüner Gärten, seinen von wundervollen Parkanlagen waldartig umgebenen prächtigen Palästen „königlicher Kaufleute“ einen entzückenden Reiz; es ist die Freude der auswärtigen Besucher, der Stolz der Einheimischen! Und während der Dampferfahrgast das majestätische Panorama an sich vorüberziehen läßt, umfaßt sein Blick zugleich den breiten Strom, belebt von Fahrzeugen aller Art, von den zierlichen Gighs und Wherries der Ruderklubs an bis zu den „Windhunden des Weltmeeres“, den schwimmenden Hotels der Amerika-, Asia- und Afrikalinien, oder den Fünfmaster-Seglerkolossen der neuesten Zeit, alles bunt beflaggt, und von manchem Bord tönen die Klänge des von einem Verein mitgenommenen Musikkorps oder einer Stewardkapelle! So viel Schönes für so wenig Geld, daß es auch der kinderreiche Familienvater sich „zähmen“ kann: darum auf „mit Kind und Küken“ nach dem Hafen! Macht der „Sonntag“ seinem Namen nur einigermaßen Ehre mit schönem Wetter, so wimmelt es bald auf dem Anlegeplatz beim Hafenthor von Hunderten, die sehnsüchtig der Beförderung harren.

„Vadder slöppt!“

Doch dies Harren hat auch seine Klippen, die selbst erfahrene Seestadtbewohner nicht immer zu meiden wissen. „Man ümmer sinnig, wir kommen je alle Mann noch mit,“ hatte der biedere Hamburger Bürger zu seiner besseren Hälfte gesagt, als sie mit den Kindern vorwärts drängte und in erster Reihe stehen wollte; „komm, Mama, setz’ dir bei mich auf der Bank, ich ruh’ noch en büschen aus, is’ Zeit überleidig genug, nich?“ Die Gattin jedoch erklärt, sofort Plätze auf Deck belegen zu wollen, „da kriegt man am besten was zu sehen,“ und verharrt am Rande des Pontons. Als endlich der Dampfer anlegt, entsteht ein furchtbares Gedränge; mühsam wehren die Beamten der „Hafenrunde“ der Ueberfüllung des Fahrzeuges und ordnen dessen sofortige Abfahrt an. Die Trossen (Haltetaue) werden gelöst, die Schaufelräder peitschen das Wasser … Da entsteht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 892. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0892.jpg&oldid=- (Version vom 31.8.2020)