Seite:Die Gartenlaube (1899) 0879.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Nichts an dem Bilde war fertig; an dem Vordergrunde malte Herr Harrang eben.

Ich müßte lügen, wenn ich sagen wollte, Tantens Erscheinung wäre idealisiert gewesen. Nein, man sah auf dem Bilde, wie im Leben, daß sie nicht mehr jung war, dennoch – ja, ich will die Wahrheit sagen – es war trotzdem ein sehr schönes Bild!

„Aber das ist ja –“ rief Anneliese unwillkürlich laut und blieb, ihren unkleidsamen Hut vergessend, stehen, hielt auch mich am Arme zurück. Ich fühlte mich tief gekränkt. Also Tante hatte Herr Harrang heimlich gemalt in den ersten Tagen, als er uns seine Arbeit nicht zeigen wollte, während er mich hatte glauben lassen, es wäre ihm nur um mich zu thun! Besonders schämte ich mich über die Maßen vor Anneliese, obgleich diese den Zusammenhang offenbar noch gar nicht begriff.

Herr Harrang aber hatte den Ausruf gehört. Er wandte sich schnell um, sah uns, sprang von seinem Feldstuhl empor, und es war, als wenn er die Hand verbergend über das Bild breiten wollte, welches aber viel zu groß war, als daß er es hätte bedecken können. Er grüßte verbindlich, aber ich sah wohl, daß er peinlich überrascht war, und dazu hatte er auch allen Grund, denn sein Betragen gegen mich war doch wirklich ganz unerklärlich gewesen.

„Ja, Fräulein Helmi,“ sagte er und lachte ein bißchen unnatürlich, „nun sind Sie doch hinter mein kleines Geheimnis gekommen! Sie müssen mir schon vergeben und mich vorläufig Ihrer Tante noch nicht verraten; es wird sich besser machen, wenn ich sie selbst um Verzeihung bitte. Ich wußte aber, auf andere Weise würde es mir schwerlich gelingen, sie zu einer Sitzung zu bewegen, so habe ich ein klein wenig Komödie gespielt, um die Damen beide in meinen Besitz zu bringen.“

Steif und beleidigt stand ich da. Ich fühlte, daß ich sehr wenig anziehend aussähe in dem Augenblick, aber es war mir einerlei. Ich war zu sehr verletzt, um mir etwas daraus zu machen, und das konnte ich wohl auch sein!

„Sie dürfen nicht böse sein,“ sagte er, mir die Hand hinstreckend, „wenn ein Maler ein Gesicht für sein Bild braucht, scheint ihm jede List erlaubt.“

„Aber ich bitte Sie, es ist mir doch ganz gleichgültig,“ entgegnete ich, ohne die Hand zu nehmen, frostig. Es war mir durchaus nicht gleichgültig, aber es war nur verdiente Strafe, wenn ich ihn glauben ließ, es wäre so. „Sehr hübsch das Bild, wirklich – es sieht aus, als wenn es gut werden würde,“ fügte ich absichtlich kühl hinzu.

Er lächelte; beinahe sah er aus, als wenn er sich belustigte. „Verbindlichen Dank für das nachsichtige Urteil! Sie verstehen sich ja auf die Sache, da Sie ‚brandstiften‘. Mein ‚Frühling‘ wird Ihnen aber vielleicht noch besser gefallen!“ Er lächelte noch mehr in einer Art, über die ich vor erneutem Aerger rot wurde, obgleich sie sehr liebenswürdig und höflich war. „Aber nun, meine jungen Damen, erlauben Sie vielleicht, daß ich weiter male, das Licht ist gerade günstig.“ Sprach’s, setzte sich ohne weiteres wieder vor seine Staffelei und beachtete uns nicht weiter.

Ich biß mich vor Zorn auf die Lippe und zog Anneliese mit fort. Daß auch gerade sie hatte daneben stehen müssen!

Fragend sah sie mich von der Seite an.

„Du,“ sagte sie nach einem Weilchen ein bißchen flau, „den habe ich mir eigentlich anders gedacht in seinem Verkehr mit dir! Das war ja zuletzt eine sonderbare, herablassende Art zu sprechen. Ist er immer so?“

„Nein,“ sagte ich kurz, „er ist noch niemals so gewesen.“

„Nämlich – weißt du – das klang eigentlich nicht gerade so, als ob – du selbst warst aber auch merkwürdig, Helmi! So spricht man doch nicht mit jemand, den man gern hat!“

„Ich ihn gern?“ sagte ich zornig, „das braucht er sich nicht einzubilden, so wie er gegen mich gewesen ist! Nein, ich denke nicht daran!“

Anneliese lachte, aber es kam nicht so recht unbefangen heraus. „Na, weißt du, was sich liebt, das neckt sich. Nimm dir’s nicht zu Herzen! Was war das aber eigentlich mit dem Bilde? Du sagtest mir doch immer, er malte dich? Dies war doch ein Bild von deiner Tante – und ein reizendes Bild, das muß ich sagen, ganz so, wie sie in Wirklichkeit ist. Malt er dich gar nicht? Wie hängt das zusammen?“

„Ach, natürlich malt er mich, es wird sehr schön,“ sagte ich ungeduldig, „oder doch sehr ähnlich! Die Sache mit Tantens Bild kann ich dir jetzt nicht erklären, es ist ein Geheimnis, ich will es dir später einmal sagen. Du darfst auch nicht davon sprechen, und wenn wir jetzt noch rudern wollen, müssen wir uns beeilen.“

Das thaten wir denn auch. Wir hatten aber eine ziemlich stille und wenig vergnügte Fahrt. Ich blieb verstimmt, und Anneliese meinte, zart mit mir umgehen zu müssen, obgleich sie nicht recht begriff, warum. So waren wir denn beide schweigsam, und doch hatten wir uns auf diese Kahnfahrt lange vorher gefreut.

Am nächsten Morgen, als die Zeit für Herrn Harrangs Sitzung kam, sagte ich zu Tante Renate, ich hätte Kopfschmerzen und könnte heute das lange Stillehalten nicht vertragen. Mir fehlte durchaus nichts, aber in irgend einer Weise wünschte ich ihm mein Mißfallen doch anzudeuten. Wenn ich ihn heiratete – und es schien mir auf einmal äußerst zweifelhaft, ob ich mich dazu verstehen würde – sollte er von vornherein empfinden, daß ich mir Rücksichtslosigkeiten irgend welcher Art nicht gefallen ließ. Davon konnte nicht die Rede sein.

„Wenn du aber Kopfschmerzen hast, wäre es besser gewesen, es früher zu sagen, Helmikind,“ meinte Tante, „jetzt ist es zum Abbestellen zu spät.“

Ich zuckte mit den Schultern, nahm meinen Hut und ging fort. Wahrscheinlich sah Tante, die ja von dem ganzen Zusammenhang nichts ahnte, mir erstaunt nach, aber das ließ mich ganz kalt. Seit gestern hatte sich ein großer, schwerer Groll gegen sie in mir angesammelt. Denn alles kam schließlich doch nur daher, daß sie sich nicht ihrem Alter entsprechend benommen hatte, und kokette alte Jungfern konnte ich nun einmal nicht leiden.

Also begab ich mich angeblich auf den Weg, um Besorgungen zu machen. Als ich aber ein paar Straßen weit gegangen war, fiel mir ein, daß ich eigentlich gar nichts zu besorgen hatte und mir lieber ein Buch holen und an den Strand gehen wollte, um zu lesen.

Gedacht, gethan! Ich kehrte wieder um, fand unsere Etagenthür unverschlossen und erblickte sofort auf dem Flur Herrn Harrangs Hut. Aha – er war also schon da! Leise trat ich in das kleine Eßzimmer, in welchem der Bücherschrank stand, und fing an, geräuschlos darin zu suchen. Nebenan im Wohnzimmer hörte ich Herrn Harrang und Tante Renate sprechen, man war also nicht im Garten. Durch die herabgelassene Portiere verstand ich jedes Wort. Ob er nicht wenigstens bedauerte, daß ich nicht da war? Ich horchte auf.

Eben sagte Tante: „Nein, böse bin ich Ihnen deswegen nicht. Das Kind hätten Sie aber in dieser Weise doch nicht zum Besten halten sollen. Das war nicht hübsch von Ihnen! Ich fürchte, Sie sind nahe daran gewesen, das ohnehin ein wenig eitle Köpfchen ganz zu verdrehen. Auch kann ich gar keinen Grund für diese Heimlichkeiten einsehen. Ich selbst dachte sogar manchmal –“ Da stockte sie.

Ich fühlte, daß ich rot bis an das Haar wurde, obgleich mich niemand sah. „Das ohnehin ein wenig eitle Köpfchen ganz zu verdrehen –.“ So, Tante Renate, das sollst du mir büßen!

„Was sollte ich denn machen?“ hörte ich Herrn Harrang halb lachend sagen. „Einen Weg zu Ihnen finden mußte und wollte ich! Daß Sie mir nicht gestatten würden, hier täglich ein und aus zu gehen ohne einen harmlos scheinenden Grund, der auch Sie täuschte, das einzusehen, dafür kannte ich Sie lange und gut genug. Dem Kinde habe ich doch nur eine Freude damit gemacht, daß ich es malte – was weiter? Auch will ich das niedliche Köpfchen wirklich benutzen; es wird in den ‚Frühling‘ hineinkommen, wie ich sagte, wenn ich das ursprünglich auch nicht beabsichtigt haben mag. Ich mußte aber wissen, ob für Sie tot und begraben sei, was einst lebte, oder ob ich es wieder aufzuwecken vermöchte! Schlimmsten Falles wollte ich mir wenigstens Ihr Bild erobern, wie damals. Renate –“

Wie? – was? – Dieser Auftritt hier sollte sich wohl gar so entwickeln, daß er Tante Renate – meiner Tante Renate – eine Liebeserklärung machte? Das ging zu weit! Ich war so behandelt worden, daß ich meine Rache haben wollte. Vielleicht wußte der Mann auch gar nicht, was er that. Er hielt Tante Renate wahrscheinlich für ein halbes Dutzend Jahre jünger, als

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 879. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0879.jpg&oldid=- (Version vom 2.6.2023)