Seite:Die Gartenlaube (1899) 0844.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Eiliger steigt Markus Paltram über die Kanten abwärts.

„Ein Gerippe – ein Gerippe, Vater!“ ruft Landolo, und Markus Paltram erbebt und erblaßt.

In dem Trümmerschutt, durch den die Gletschermilch aus dem Eise strömt und wie ein weißes Band in die fernen Tiefen von Puschlav niederflattert, liegen zwischen den goldenen Sternen der Alpenprimeln gebleichte Knochen. Nebenan ruht mit ausgebreiteten Schwingen der mächtige Geier.

Landolo zittert über den Fund am ganzen Leib – in furchtbarer Angst blickt Markus auf seinen Knaben.

„Es wird, denke ich, ein Opfer aus der Franzosenzeit sein.“

Er stößt es angstvoll hervor und der Schweiß perlt auf seiner Stirne. Seine Stimme aber klingt so seltsam erregt und unsicher, wie wenn er sagen wollte: Ich weiß, daß es kein Opfer aus der Franzosenzeit ist.

Er lügt – er lügt um Landolos willen. Sein schöner Jägerknabe soll sich nicht beunruhigen, und mit den starken Bergschuhen, die mit einem Kranz von Nägeln umgeben sind, wühlt er das lose graue Gletschergeschiebe auf, als grübe er ein Grab.

Fast rauh gebietet er Landolo:

„Wirf die Gebeine in diese Grube.“

„Sollten wir sie nicht nach Puschlav oder Pontresina bringen,“ wendet Landolo schüchtern ein, „damit sie in geweihter Erde ruhen können?“

„Wirf sie in diese Grube!“ befiehlt der Vater hart.

Und verwirrt sammelt Landolo die Knochen – da schreit er:

„Vater! Da liegt der Rest eines Gewehrs.“

„Wirf es in diese Grube!“

Aber neugierig nimmt Landolo eine Steinscherbe und kratzt damit den Rost von dem verdorbenen Schloß.

„Vater,“ schreit er, „M. P. steht auf dem Schloß – das Gewehr ist von dir verfertigt!“

Da starrt Markus Paltram den Knaben entgeistert an – es ist ihm, die Stimme rede mit den schrecklichen Tönen des Weltgerichtes.

Und doch ist es die schöne, klangreiche Stimme seines Landolo.

„Vater, da ist Geld! – Vater, da ist eine verrostete Uhr!“

Mit fiebernden Wangen, bebend in Ahnungen steht Landolo.

„Wirf sie in diese Grube!“ knirscht Markus Paltram.

„Vater, um dieses Knöchelchen ist ein schöner goldner Ring.“ Aber der Knabe läßt den Ring, als wäre das Gold feurig geworden, fallen – klirrend hüpft der Reif von Stein zu Stein.

Und der Knabe hat sich auf das Geschiebe geworfen – er schluchzt herzzerbrechend.

„Sei ruhig, Landolo!“

Markus Paltram streichelt in unendlichem Mitleid sein Kind, dem die prächtigen weichen Zöpfe unter dem Hut hervorgeglitten sind.

„Vater,“ wimmert es, „der Name ‚Cilgia Premont‘ steht in dem Ring.“

„Landolo – Landolo!“ stammelt er und hebt den halb ohnmächtigen Knaben empor.

Der taumelt.

„O Vater – fort – fort!“ Halb bewußtlos stöhnt es Landolo.

Sein Kind im Arm, schiebt Markus Paltram mit dem Fuß den Gletscherschutt über die Knochen und Funde. Dann spricht er mit gebrochener Stimme:

„Landolo – sei ruhig – der auf dem Gletscher gerichtet worden ist, ist gerecht gerichtet – so wahr mir Gott helfe – er ist gerecht gerichtet! Er ist der einzige. Er hat mich aus dem Hinterhalt angeschossen – und ich that, was keiner sonst gethan hätte, ich ließ ihm auch den zweiten Schuß. Wenn es einen höhern Richter giebt, dann wird Gruber zeugen müssen, daß er den Tod gewollt hat.“

„Gruber!“ Landolo wiederholt das Wort und seine Augen sind schreckhaft weit.

Es ist, als ringe das Kind mit seinem Leben.

„Vater, gelt, ich darf das Knabenkleid ablegen? Es ist nicht gut, daß ich es trage!“

„Lege es ab!“ erwidert Markus Paltram milde, und bittend fährt er fort: „Jolande – sieh mich nicht so schrecklich an! Weiß Gott, ich habe wegen Gruber ein ruhiges Gewissen – brich mir das Herz nicht mit deinen Augen – brich mir es nicht!“

Gräßliche Angst bebt in seinen Worten.

Da neigt Jolande das junge schöne Haupt an seine Brust und legt in einer unbewußten Liebkosung den Kinderarm um seinen gewaltigen Nacken.

Glockenrein klingt ihre Stimme:

„O Vater – ich weiß, daß du gut bist!“ Und mit einem schmerzlichen Lächeln hebt sie die Augen zu ihm.

Da küßt der graue Jäger sein Kind. Er, der bisher trotz aller brennenden Liebe zu hart war, sein Kind zu küssen.

„Nur von dir, Jolande, möchte ich gut genannt sein, was die Welt von mir spricht, ist mir eins!“

„Vater!“

Und Paltram ergreift die Beute und sie scheiden von dem traurigen Ort – und sie sprechen nicht mehr von dem, was sie gesehen haben. Jolande ist stark. Sie drängt die Thränen zurück und bezwingt das weinerliche Zucken um den Mund, aber sie geht so matt – so matt!

Heute noch Landolo – dann immer Jolande! Und auf die Jagd wird sie nie wieder gehen!

„Auf das Fest kommst du mit – ich kann mich nicht mehr losmachen und noch weniger ohne dich sein!“

„Nein, ich komme nicht, Vater! – o Vater, quäle mich nicht!“

Und alles freundliche Zureden am folgenden Tag ist umsonst, umsonst sein Grollen – er spürt es wohl, das Kind ließe sich eher töten als ein Ja abringen.

Sie hat einen so starken Willen wie er.

Und doch muß er sein Wort halten und mit den andern gehen.

In einer Sternennacht kommt der Abschied. Jolande tritt mit dem Vater noch ins Freie – in heißem Kummer kann er kaum weg von ihr.

Ein herzzerbrechender Abschied! – Warum nur? – In einer Woche wird er wieder da sein.

Aber nun kommen seltsame Tage, so seltsam, daß er kaum den stillen Augenblick findet, an sein Kind zu denken.

Denn das Fest ist seine Ehrung. (Schluß folgt.)     


Die Spinnerin.
(Zu dem nebenstehenden Bilde.)

Durchs Fenster blinkt der Sonnenschein,
Am Herd das Kätzchen schnurrt;
Die Alte sitzt im Haus allein.
Ihr Spinnrad summt und surrt.

Fernher Musik und Jubel schallt
Und feierlich Geläut;
Manch junges Paar vorüberwallt –
Im Dorf ist Kirmeß heut’.

Das Rädchen stockt, die Alte sinnt,
Blickt lächelnd vor sich hin;
Mit Silberfädchen leis umspinnt
Erinn’rung ihren Sinn:

Es war wie heut’ ein Sonnentag,
So klar das Himmelszelt,
So voll von Liedern Feld und Hag,
So voll von Glück die Welt;

Es war ein Bursch, frisch wie der Wind,
Vor allen stark und kühn;
Und ihm am Arm ein blondes Kind,
Schön, wie die Rosen blüh’n;

Es war einmal … Das Kätzchen schnurrt,
Der Tagesschein verrinnt,
Die Dämm’rung sinkt … Das Rädchen surrt,
Die Alte sitzt und spinnt …
 Ernst Muellenbach.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 844. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0844.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2023)