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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Und sprechend zeigte sie die schönen weißen Zähne, und die kirschschwarzen Augen leuchteten.

„Hast du schon auf ein Ziel geschossen?“

„Ja, aber nur mit dem Vogelrohr habe ich es versucht.“

Nicht häufig sprach sie so viel Worte, nie nahm sie das kleinste Geschenk an; nicht verletzend, sondern mit einem herb standhaften Lächeln wies sie es zurück.

„Das Eisenköpfchen!“ grollte Adam Näf, der stattliche Händler, der die schwere goldene Uhrkette über die Brust gespannt hatte. „Heillos vornehm ist sie.“

„Schaut ihr nur auf das simple Kleid – ist ein Mängelchen daran?“ versetzte Menja, „und wie sie Kopf und Hütchen trägt! Paltram will eine Prinzeß aus ihr erziehen!“

Ludwig Georgy, der burschikose Maler aber, der das Engadin auch wieder aufgesucht hatte, war vernarrt in Jolande.

„Sie muß mir auf die Leinwand!“

In den ersten Septembertagen zogen die Gäste fort. Ein Saumpferd trug die Staffelei, die fertigen und angefangenen Bilder und die Skizzen des Künstlers. Er pfiff und sang vor Fröhlichkeit, denn ein Bild, das Adam Näf gekauft, hatte seine schmale Börse gefüllt.

Und seine Hoffnungen waren groß.

„Das sind keine hundertmal gemalten Schlösser, das ist frisches, keusches Hochgebirge – die werden staunen im lieben Deutschland! Da hat ja keine gute Seele eine Ahnung vom Morteratsch, vom St. Moritzersee!“

„Und von den lumpigen Bergamasken, die Eure besondere Liebe haben,“ fiel Adam Näf lachend ein.

So ritten sie durch den Sonnenschein.

In St. Moritz aber saßen die „Geldverlocher“ und rechneten aus, daß das Bad ein Moloch sei, an dem sie vollends verarmen müßten.

„Man darf es keinem Menschen verraten, wie wir stehen!“ sagte Lorsa.

„Das Bad kommt schon noch in die Höhe!“ tröstete vertrauensvoll Herr Konradin.

Es kam aber auch im nächsten Jahr und im dritten nicht; was an neuen Gästen zu den alten stieß, war nicht der Rede wert.

Aber auch die alte Partei hatte allen Grund, über den Mißerfolg der Jungen nicht zu lachen.

In tiefer Stille war die Abordnung aus Wien zurückgekehrt, und der Landammann sprach nicht gern von der Sendung. Mit Hofbescheiden, mit Versprechungen, die doch keine bestimmten Verpflichtungen enthielten, mit einer Menge Verschiebungen der Audienzen und kränkenden Verschleppungen waren die zähen, unbequemen Bündner Gesandten hingehalten worden. Dann endlich erklärten die österreichischen Räte, daß sie die Verhandlungen nicht weiter führen könnten, ein längeres Bleiben der Gesandtschaft überflüssig sei: Oesterreich halte an den bestehenden Verhältnissen fest. – Und um den Bündnern den Abzug zu erleichtern, versprach man ihnen dreißigtausend Gulden als Entschädigung für die von den Franzosen eingezogenen Privatgüter. Die Summe war aber so mit Bedingungen verklausuliert, daß niemand zu hoffen wagte, sie würde je ausbezahlt werden.

Der Ausgang der Gesandtschaft war der größte Schmerz im Leben des Landammanns von Flugi, des treuen Anhängers der bündnerischen Freundschaft zu Oesterreich.

„Sie haben in Wien einen Nagel zu meinem Sarg geschlagen!“

So klagte der greise würdige Herr.

Ein liebliches Enkelkind zog aber den Nagel aus dem Sarg, und im Gasthaus des Herrn Konradin saßen die alten, früher so streitbaren Herren, der Landammann und Melcher, schlürften am Nachmittag den Kaffee, spielten Karten und überließen die Politik den Jungen.

Wenn doch ein Gewitter drohte, war der gemeinsame Enkel ein lustiger Friedensstifter.

Und jeden Sommer einmal ritt der alte Landammann zu Cilgia Premont nach Puschlav.

„Sie ist wohl eine hinterhältige Teufelin gewesen, aber auf der Welt versteht mich niemand besser als sie,“ pflegte er zu sagen.

Jeden Sommer rückte auch Ludwig Georgy, der Maler, mit der Sicherheit eines Zugvogels wieder ein.

Und er malte – malte – bald in St. Moritz, bald in Pontresina, bald in Puschlav.

Dabei qualmte er aus der Pfeife, daß er in der Arbeit innehalten mußte, bis sich der Dampf über den Farben der Landschaft verzogen hatte.

„Kein Stück ist noch verkauft,“ erzählte er, „aber einen Händler habe ich zu Frankfurt entdeckt, der ist Goldes wert. Er legt die Bilder auf den Speicher und leiht mir das Notwendige zum Leben. Er sagt: ‚Die Gemälde kommen schon ins Ziehen! – malt zu!‘ Jetzt eben geht er mit einer Ladung ‚Engadin‘ nach London – er hofft ein paar Engländer zu erwischen!“

Das trug der Prachtmensch so in einem Tone der Selbstverspottung vor, daß auch niemand im Engadin seine Kunst sehr ernst nahm – nur eine: Cilgia.

Um so größer war das Erstaunen, als eines Tages eine malerische Karawane englischer Touristen, wie vom Himmel geschneit, im Engadin erschien und mit einem „Good morning“ zu St. Moritz nach dem Maler Ludwig Georgy fragte. In London waren seine Bilder aus dem Engadin zum Ziehen gekommen.

Und hinter den Engländern kamen neugierige Franzosen, neugierige Deutsche ins Engadin, und die Landsleute des Malers, den sie zuerst für einen farbenbegabten Phantasten gehalten hatten, jubelten am lautesten.

Die sturmgepeitschten Arven, die sich im Gefelse drängenden Herden der Bergamasken, das Idyll der äsenden Gemsen, das Schneeleuchten der Gipfel, der Traum der Seen, der innige Zauber des Lichtes – alles, was Ludwig Georgy gemalt – das war nicht der Traum eines phantasievollen Arkadiers, das war herrlich beobachtete Natur!

Im Engadin gab es wirklich so grüne Wiesen, wie er sie malte, es gab die leuchtenden Blumenteppiche, die Seen, die wie ein Kinderlächeln prangen, die Berge, die wie silberne Flammen in einen dunkelblauen Himmel steigen, und jene überirdisch schönen Sonnenuntergänge, wo aus den Schneespitzen das Feuer bricht, während sich ein magisches Dämmerblau um die Dörfer breitet.

In diesen Dörfern gab es die Gestalten, die er malte, ein hartes, zähes, in einer eigenartigen Würde dahinlebendes stolzes Volk.

Und in St. Moritz gab es eine Sauerquelle, deren vielhundertjähriger Ruhm in Vergessenheit geraten war, doch jetzt wieder auflebte. An ihr sammelten sich die Leidenden; sie stiegen im Juni an Krücken aus den Sänften, sie blieben bis im September dort und jauchzten auf der Heimreise über die Berge.

Die Namen Engadin und St. Moritz begannen in der weiten Welt und besonders in den großen Städten zu klingen.

Man lebte in der poesievollen Zeit der ersten Schweizerreisen. Jede Fahrt war noch eine Entdeckung, und die über die Berge zogen, waren Leute von Geist und Gemüt, mit einer gewissen Schwärmerei, bereit, das Schöne auszuspüren, das Unvollkommene zu übersehen, es kann die gebildete Aristokratie der Länder. Und St. Moritz wurde das Sommerlager der Vornehmsten.

Die Reisenden ritten noch eine Weile über die Pässe: eines Tages aber kam – ein unerhörtes Wunder! – die erste Kutsche von Chur, später die Postwagen mit dem bunten Sommervolk.

Die Säumer, die mit untergeschlagenen Armen vor ihren Häusern gesessen, wurden Fuhrleute und Postillone, und der alte Tuons knallte mit der Peitsche, wenn er durch das Dorf Pontresina fuhr, daß es die Toten von Santa Maria hätte wecken mögen.

Ein großes Aufatmen ging durchs Engadin – die verderbliche Auswanderung stockte, die Dörfer, die durch den Sommerverkehr auf den Straßen Verdienst fanden, schmückten sich und da und dort entstanden schlichte bürgerliche Gasthäuser.

Langsam hob sich das Thal.

Und die Dankbarkeit des Volkes wandte sich zwei Namen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0838.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2019)