Seite:Die Gartenlaube (1899) 0836 i 2.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Immer noch hofften indessen die Buren, daß ein politischer Umschwung in England selbst ihnen zu Hilfe kommen werde; hatten doch die 1877 in der Minderheit befindlichen Liberalen gegen die durch das Toryministerium vorgenommene Einverleibung sich ausgesprochen und damit selbst die Hoffnung erweckt, daß sie, zur Macht gelangt, die Vergewaltigung zurücknehmen würden.

Aber als im Frühjahr 1880 das Parlament aufgelöst wurde und die Tories in der That eine entscheidende Niederlage erlitten, die Whigs aber wieder die Zügel der Regierung ergriffen, da zeigte sich an einem überaus lehrreichen Beispiel, daß die parlamentarische Opposition oft bloß aus Parteigeist das am Ruder befindliche Ministerium tadelt, aber, in den Besitz der Macht gekommen, genau dasselbe thut, was sie vorher aufs heftigste bekämpfte.

Derselbe Gladstone, der im Wahlkampf ausgerufen hatte, daß man Transvaal ohne alle Rücksicht auf Wert oder Unwert des Landes schon deshalb die Freiheit zurückgeben müsse, weil seine Einverleibung unter Verletzung der britischen Ehre erfolgt sei, derselbe Gladstone wollte, nachdem er Ministerpräsident geworden war, von dieser Wiederherstellung nichts mehr wissen und erklärte, nun die Einverleibung einmal, gegen seinen Willen, vollzogen sei, könne die Autorität der Königin über Transvaal unter keinen Umständen wieder aufgegeben werden. Man wird annehmen dürfen, daß ihm dieser Abfall von seiner kaum erst mit seiner flammenden Beredsamkeit kundgegebenen Ansicht nicht leicht wurde, daß er Einflüssen unterlag, die stärker waren als seine persönliche Ehrenhaftigkeit, kurz gesagt: der ungeheuren nationalen Selbstsucht des englischen Volkes, das nach allen überseeischen Gebieten von irgend welchem Wert begehrt, wie wenn Gott die Welt nur für England geschaffen hätte, und das, wo es einmal seinen Fuß hingesetzt hat, spricht: „Hier bin ich, hier bleibe ich; Recht oder Unrecht – mein Land steht über allem!“ „Der Brite,“ hat Schiller schon vor hundert Jahren gesagt, „will das Reich der freien Amphitrite – das Weltmeer – schließen wie sein eignes Haus.“ Der Kolonialminister Lord Kimberley machte geltend, daß seit 1877 die englische Bevölkerung in Transvaal so zugenommen habe, daß die Freigabe des Landes dort einen Bürgerkrieg entfesseln würde, und er suchte den Buren die herbe Pille mit erneuten Verheißungen der weitestgehenden Selbstverwaltung zu verzuckern; aber er fand keinen Glauben mehr: das Maß war voll.

Der Marktplatz von Kimberley.

Längst empfanden die Buren mit bitterem Groll, wie hochmütig jeder Engländer auf sie herabsah. Sie waren ihm einfältige, schmutzige, zurückgebliebene Bauern, die in Häusern ohne Parkettböden (dafür mit Böden von getrocknetem Kuhmist, zur Abwehr der holzfressenden Ameisen) und ohne gemalte Zimmerdecken wohnten und deren Fenster nur Kugellöchern glichen; in ihrer Vorliebe für die Viehzucht, die sie sommers auf den Hochebenen, winters in den Thälern betrieben, in ihrer geringeren Neigung für den Ackerbau, in ihrer völligen Abkehr von der Industrie waren sie den Engländern Menschen ohne Entwickelung. Die Engländer selbst aber betrachteten sich als die wahren development-men, als die Männer des Fortschritts, des Jahrhunderts; ein Engländer, heißt es, wohl etwas übertrieben, würde sich nicht herablassen, ein Burenmädchen zu heiraten; kein Wunder deshalb, daß die Buren auf ihren Höfen den Engländern die sonst freigebig geübte Gastlichkeit versagten und erst zugänglicher wurden, wenn etwa der schlaue Engländer sich als – Waliser bezeichnete! Shepstone wagte es gar, dieser weißen Bevölkerung Zulupolizisten aus Natal zu setzen; seine Beamten benahmen sich, wie die Landvögte der Habsburger der Sage nach gegen die Schweizer sich benommen hatten; unter Lanyon ward es noch schlimmer! Das sollte ein Volk ertragen, das seit Menschengedenken sich in voller Freiheit selbst regiert hatte? Die Unruhe nahm immer mehr zu; man weigerte sich, wie vor hundert Jahren die Amerikaner es gethan hatten, die Steuern zu zahlen, welche man nicht bewilligt hatte; im Bezirk Wakkerstroom thaten sich 110 Burghers zu einem öffentlichen Protest zusammen, und als einem Buren – er hieß wieder Bezuidenhout – wegen Steuerverweigerung sein Karren weggenommen ward, da brach der Sturm los. Der Wagen ward zurückgeholt, und auf den 8. Dezember 1880 wurde nach dem Hofgut Pardekraal (zwischen Potschefstroom und Pretoria) trotz Lanyons Verbot eine Landesversammlung einberufen. Sie trat erst am 13. wirklich zusammen, beschloß aber sofort die Herstellung der Südafrikanischen Republik und übertrug drei Männern, dem greisen Martinus Pretorius, Paul Krüger und Pieter Joubert, vorläufig die Regierungsgewalt; Pretorius ward zum Präsidenten, Krüger zu seinem Stellvertreter, Joubert zum Generalkommandanten erwählt. Am 16. Dezember, dem Tag, an dem 1837 400 Buren die 15000 Zulus Dingaans am „Blutflusse“ in Natal geschlagen und ihre gemordeten Brüder gerächt hatten (s. Artikel I, S. 4) und der seither als Nationalfest gefeiert wird, am sogenannten „Dingaanstag“, erhoben sich nach gefaßten Beschlüssen alle in Pardekraal versammelten Buren zu dem mannhaften Entschluß, der Väter nicht unwert zu sein, denen die Freiheit lieber gewesen war als selbst die Heimat, und schwuren mit aufgehobenen Händen, so wahr der alte Gott lebe, die Waffen nicht eher niederzulegen, als bis sie die Freiheit ihres Landes aufs neue erkämpft hätten: des zum Zeichen warf jeder einen Stein auf einen Haufen, und dessen rasches und gewaltiges Emporwachsen kündete die Macht des Entschlusses aller an, frei zu leben oder zu sterben.

Seit Monaten b hatte jeder Bur Schießbedarf aufgekauft, den er unter dem Vordersitz seines Karrens verborgen hielt; die Männer waren gewohnt, ihr Pulver zu sparen und mit jeder Kugel ihr Ziel zu treffen: wie staunte jener Fremde, der als Gast eines Buren mit diesem zur Jagd ging und sich selbst die ganze Patrontasche füllte, während der burische Gastfreund drei Patronen zu sich steckte und zu dem Verwunderten sprach: „Drei Antilopen will ich schießen; wozu brauche ich mehr Kugeln?“ Das Hauptquartier der Erhebung war das Dorf Heidelberg, das an der Straße von Pretoria nach Natal liegt; hier befehligte als Generalkommandant – der nach der Verfassung durch alle Burghers auf zehn Jahre gewählt wird und unter dem die Kommandanten (Obersten) und weiterhin die Feldkornetts (Hauptleute der Bezirke und Kompagnien) stehen – Pieter Joubert eine Streitmacht von 4000 Mann. Sein Plan war sehr einfach: alle englischen Besatzungen in den Städten sollten eingeschlossen, die sämtlichen Straßen aber gesperrt und so jeder Entsatz verhindert werden; und da man eigentlich allein aus Natal den Feind erwarten konnte – weil die Südgrenze durch den neutralen Oranjefreistaat gedeckt war – so ging die Hauptmacht nach Natal vor. Die Stimmung in der (seit 1854 unter ihrem eigenen Ministerium und Parlament stehenden) Kapkolonie war so, daß die Engländer hier gar keine militärischen Maßnahmen zu treffen wagten, um nicht die Kapburen, unter denen es gewaltig gärte, zum Aufstand zu reizen: in dem als Kronkolonie fast absolut regierten Natal hatte man die Hände freier. Als nun die in Lydenburg liegende Abteilung des 94. Regiments sich, erhaltenem Befehl gemäß, nach Pretoria begeben wollte, um zu der dortigen Besatzung zu stoßen, wurde sie am 20. Dezember an der Furt des Bronkhorstspruit (Spruit = Fluß) von einer Burenschar angegriffen und binnen einer halben Stunde

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 836_i_2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0836_i_2.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)