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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Küchenvestalin herbei, um ihn wieder abtragen zu helfen. Eine echte Kräutlerin ist für die meisten der Mädchen, die an ihren Stand regelmäßig zum Einkauf kommen und mit ihr feilschen und plaudern, eine einflußreiche Beraterin in allen Angelegenheiten. Merkwürdige Träume gelangen noch „wacherlwarm“ vor den Richterstuhl der Kräutlerin. Ist sie selbst noch jung, dann giebt es ein Zischeln und Lachen; dann wird manche lustige Intrigue ausgeheckt und mancher Aufsitzer beraten. Die Kräutlerin muß für den „schröcklichen“ Traum der Tini, in dem die ausgefallenen Zähne eine große Rolle spielen, eine glückliche Deutung finden, sie muß aber auch den Traum der praktischeren Madam’ Korntheuer in spielreife Lottonummern umsetzen; sie muß der Mali einen guten Platz bei einem kinderlosen Ehepaar verschaffen und muß, wenn Pfingsten, das liebliche Fest, kommt, die Kinder ihrer Kundschaften zur Firmung führen. Sie ist aber auch die Ortspolizei und das Auskunftsbureau der Straßenzüge, an deren Kreuzung sie ihr „Standl“ hat. Wenn ein Unglücklicher, von Hunger und Krankheit geplagt, zusammenstürzt, so ist sie die erste Samariterin, die hilfespendend herzueilt. B. Ch.     


Nikolaustag in den Niederlanden. (Zu dem untenstehenden Bilde.) Er ist ein würdiger Herr, der heilige Nikolaus, wenn er, mit Mitra und dem brokatbesetzten Mantel angethan und den Bischofsstab in Händen, in den Niederlanden von Haus zu Haus zieht und sich Bericht erstatten läßt, wie sich die Kinder betragen haben. Ganz ungerechtfertigter Weise legt ihm der „Struwwelpeter“ ein großes Tintenfaß zu, in das er die Kinder stecken soll. Der Volksglaube weiß davon nichts.

Nikolaustag in den Niederlanden.
Nach einer Originalzeichnung von J. Gehrts.

Noch ist es nicht völlig Abend, da lauschen die Kleinen schon bei jedem Geräusch, bei jedem lauten Schritt, ob wohl der Nikolaus naht. Kein Spiel kommt zustande, so gern sie sich die Zeit kürzen möchten. Endlich klopft es an die Thür. Es ist der Gefürchtete. Alles horcht ängstlich auf. Seine ernsten Worte schüchtern ein, und ein lebhafter Schreck prägt sich auf den frischen Gesichtern aus. So schlimm indessen, wie ihn die Mutter macht, um die losen Buben zur Folgsamkeit anzuhalten, ist er doch nicht. Er verspricht ihnen sogar etwas, wenn sie heute abend noch recht gut folgen!

Jetzt ist er glücklich wieder hinaus. Die Kinder atmen auf und haben keine Ruhe, bis die Schuhbürste nebst der Wichsschachte! herbeigeholt ist. Nun geht es an ein Putzen der Schuhe, bis die kleinen Hände pechschwarz sind und auch die Gesichter bedenkliche Spuren der eifrigen Thätigkeit ausweisen – denn Nikolaus giebt ja bekanntermaßen etwas auf blankes Schuhwerk. Endlich sind alle fertig. Darauf zieht man nach der Eßstube, auf deren großem Tische bald fünf Paar glänzend schwarzer Schuhe stehen. Ein Schuh wird mit Hafer, ein anderer mit Heu gefüllt, und in einen dritten kommt ein Stück Mohrrübe, alles für den Esel des Nikolaus. Dann wird die Stube sorgfältig verschlossen, und der Vater muß feierlich geloben, ganz gewiß keine Menschenseele hineinzulassen.

Aber der Nikolaus ist eben kein gewöhnlicher Mensch. Trotzdem auch das Schlüsselloch verstopft ist, findet er einen Weg nach dem Heiligtume. Und sogar der Esel muß Eingang gefunden haben; denn wer hätte sonst alle sieben Stühle umwerfen und die halbe Tischplatte ausheben sollen?

Voll Ungeduld warten die Kinder am Morgen, bis auch der Vater am Kaffeetisch erscheint; noch ehe er den Morgenimbiß zu sich genommen hat, muß er in Gegenwart des gesamten Haushaltes das Zimmer öffnen. Die Kinderschar stürmt hinein und fällt beinahe über die vielen Stuhlbeine, die den Weg versperren. Aber doch gelangt jedes glücklich zum Tische! Und – o Wunder! – trotz der verschlossenen Thüren sind die Schuhe mit Zuckerwerk gefüllt! Hafer, Heu und Mohrrübe sind verschwunden, der Esel muß sehr hungrig gewesen sein. Allerdings liegt auch eine Rute auf dem Tuch. Aber deren Lage ist so vieldeutig, daß keins der kleinen Blondköpfchen auf sie Anspruch erhebt, sondern jedes behauptet, bei seinen Schuhen habe sie nicht gelegen. Nächstes Jahr muß Nikolaus mit seinen Winken deutlicher sein. A. T.     


Der Cotta’sche Musenalmanach für das Jahr 1900. Wieder ist ein Band des schon in seinem Aeußeren so anmutenden Büchleins eingetroffen, dessen frühere Jahrgänge unter dem deutschen Christbaum einen bevorzugten Platz gefunden haben und dem das Verdienst gebührt, die Lyrik wieder in den Salons und Boudoirs zu Ansehen gebracht zu haben. Auch der neue Jahrgang weist neben den Poesien sechs höchst ansprechende Kunstbeilagen auf: das schöne italienische Landschaftsbild „Vor Amalfi“ von R. Püttner (vergl. die Abbildung Seite 832), den interessanten „Studienkopf“ von Fritz Reiß, das stimmungsvolle „Waldeinsamkeit“ von Alfred Enke, das rührende Genrebild „Heimatlos“ von R. E. Kepler, das lebendig gruppierte Tierbild „Gemsen“ von J. v. Pausinger und die „Heilige Nacht“ von A. Zick, das uns himmlische Verklärung und andächtige Hirten zeigt und das sich nach der Farbenglorie der italienischen Meister zu sehnen scheint. Was die Dichter betrifft, so haben sich die Getreuen der früheren Jahrgänge, die Veteranen sowohl wie auch die strebsamen Jünger, wieder eingestellt, und daneben taucht auch manch neuer Name auf. Von den Erzählungen in Prosa ist „Mater dolorosa“ ein stimmungsvolles Lebensbild mit tragischem Abschluß. H. Keller-Jordan schildert ein wahrhaft ergreifendes Mutterschicksal. Desto heiterer ist die zweite Erzählung „Das stumme Klavier“ von Ernst Muellenbach. Die Liebe des Professors zu seiner Hörerin ist mit vielem Humor geschildert und die Rolle, die das stumme Klavier dabei spielt, sehr ergötzlich. Die Dichtungen in metrischer Form beginnen mit zwei größeren Cyklen. „Hans Habenichts“ von Prinz Emil von Schönaich-Carolath behandelt die Sage von einem tapferen Ritter, dem ein Bürgermädchen untreu wird und der gegen die Geldsäcke in den Städten tapfer sein Schwert zückt; es ist in einer volkstümlich derben Tonart gedichtet und reich an Bildern von markiger Anschaulichkeit. Der „Gast der Einsamkeit“ von Max Haushofer hat zum Gegenstand eine Alpenwanderung, welche uns schöne Bilder vorführt. Die Führerin ist eine lebensvolle Gestalt, keine nüchterne allegorische Figur. In drei Balladen besingt Albert Möser die Lady Cecil Richmond, die bis ins höchste Alter um ihren Tänzer in Brüssel, den Herzog von Braunschweig, trauert, der bald nach jenem Tanz bei Quatrebras fiel. Heinrich Vierordt pflegt wieder mit Glück die moderne Ballade: „Ein Schwabenritt“ ist eine Episode aus dem Kriege von 1870, „Der treue Gumbiller“ knüpft an den Selbstmord des Königs Ludwig II von Bayern an. „Die beiden Selbstmörder“ von Ernst Eckstein ist ein ernstes, desselben „Frühlingsmorgen“ ein heiteres Stimmungsbild. Unter den Balladendichtern sind noch Albert Matthäi, Martin Beerel, Bernhard Hofmann vertreten; unter den Verfassern lyrischer Gedichte Martin Greif, E. Paulus, C. Weitbrecht, Karl Woermann, Isolde Kurz, Wilhelm Hertz, Hans Hofmann, H. Bulthaupt, J. Rodenberg, Ernst Ziel, Rudolf v. Gottschall, Albert Geiger u. a. Hermann Linggs Muse ist diesmal dem Preis des Erfindergeistes und der Naturkräfte zugewendet, die wie die Elektricität das Leben neugestalten. Wilhelm Jordan führt wuchtige Hiebe gegen thörichte moderne Stichwörter, wie das Epigonentum; ein schwunghaftes patriotisches Lied ist der Beitrag „Unsere Schiffe“ von Max Hartung. Die „harmlosen Sonette“ von Julius R. Haarhaus haben sehr scharfe satirische Spitzen. Die Reimsprüche von Ernst Ziel und Julius Grosse enthalten viel Sinniges und Treffendes. †     



Kleiner Briefkasten.

A. Z. in Valparaiso. Jahn und Friesen waren die Mitstifter des im November 1810 geschlossenen „Deutschen Bundes“, der übrigens nur für den Feind geheim, dagegen dem König Friedrich Wilhelm III wohl bekannt war. Sie finden Ausführlicheres darüber in der sehr lesenswerten Schrift „Friedrich Friesen“ von Carl Euler (Verlag von A. Pichlers Witwe und Sohn in Leipzig und Wien), die soeben in beträchtlich erweiterter neuer Auflage erschienen ist.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Erst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0836.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2019)