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Goethe aber erkannte sogleich ihren vollen Wert und Wilhelm v. Humboldt schrieb: „In keiner Sprache ist mir ein Gedicht bekannt, das in einem so kleinen Umfang einen so weiten poetischen Kreis eröffnet, die Tonleiter aller tiefsten menschlichen Empfindungen durchgeht und auf ganz lyrische Weise das Leben mit seinen wichtigsten Ereignissen und Epochen wie ein durch natürliche Grenzen umschlossenes Epos zeigt.“ Außerordentlich reich ist der Gehalt des Gedichtes an Sprüchen der Weisheit, die Schillers hohen Geist und liebevolles Herz gleich schön offenbaren und die so schlicht und klar im Ausdruck sind, daß sie sich schon dem Verständnis des reiferen Kindes leicht erschließen. Mit feierlichem Klange senken sie sich der Jugend unvergeßbar ins Herz und werden zu segenspendenden Geleitworten auf dem Gang durchs Leben. I. Pr.

Deutsch-Samoa. Seit zwanzig Jahren bildeten die Samoainseln den Gegenstand fortwährender Streitigkeiten zwischen den Großmächten Deutschland, England und den Vereinigten Staaten von Amerika. Diese gaben wiederholt Anlaß zu Kämpfen zwischen den Häuptlingen, die bald von dieser, bald von jener Macht bevorzugt wurden. Durch eigenmächtiges Vorgehen englischer und amerikanischer Beamten haben sich zuletzt die Verhältnisse derart zugespitzt, daß die Wahrung deutscher Rechte auf Samoa von der deutschen Regierung als Ehrensache betrachtet werden mußte. Nun ist es der deutschen Diplomatie gelungen, die Samoafrage in einer völlig befriedigenden Weise zu lösen. Vorbehaltlich der wohl nicht zu bezweifelnden Zustimmung der Vereinigten Staaten, wurde zwischen Deutschland und England ein Vertrag abgeschlossen, der geeignet ist, den Samoawirren für immer ein Ende zu bereiten. Nach demselben verzichtet England auf jedes Anrecht auf die Samoainseln, die zwischen Deutschland und Amerika geteilt werden, und zwar derart, daß die Inseln Upolu und Savaii, sowie die anliegenden kleinen Inseln als freies Eigentum an Deutschland übergehen, während die Insel Tutuila mit ihren Nebeninseln den Amerikanern zufällt. Deutschland ist somit in den Besitz des größten und wichtigsten Teils der Samoainseln gelangt. Ihr Kulturmittelpunkt ist ja seit langem die Insel Upolu mit dem Hauptort Apia. Sie weist die stärkste Bevölkerung auf, etwa 16 000 christliche Einwohner, darunter etwa 300 Europäer, und sie ist mit etwa 880 qkm Flächenraum die zweitgrößte des Archipels, zweifellos auch die fruchtbarste. Savaii, westlich von Upolu gelegen, ist die größte der Samoainseln, mit ihren Nebeninseln umfaßt sie 1707 qkm, auf denen etwa 13 000 Menschen wohnen, sie hat aber keinen Hafen, sondern nur einen Ankerplatz, Mataatu an der Nordküste. Was von Samoa in amerikanischen Besitz gelangt, ist räumlich nicht groß. Die Insel Tutuila umfaßt nur 139 qkm, und ihre Einwohnerzahl wird auf höchstens 4000 geschätzt; noch kleiner ist die Tutuila benachbarte östlichste Insel der Samoagruppe Manua oder Tau mit nur 58 qkm Umfang. Allerdings besitzt Tutuila in Pago-Pago einen vortrefflichen Hafen.

Karte der Samoainseln.

Deutsche Händler und deutsche Pflanzer waren es, die auf Samoa als Pioniere der Kultur auftraten. Es unterliegt nunmehr keinem Zweifel, daß unter dem ungeschmälerten Schutze der deutschen Flagge für die paradiesischen Eilande eine neue glücklichere Aera anbrechen wird. Die Eifersüchteleien der Häuptlinge und die inneren Wirren und Kriege werden sicher aufhören und Handel und Plantagen einen kräftigen Aufschwung erleben.

Was Deutschland für den Verzicht auf Samoa England geboten hat, schädigt die deutschen Interessen in der Südsee keineswegs. Deutschland verzichtet auf alle Ansprüche auf die Tongainseln und auf Savage-Island, die südwestlich und südlich von Samoa liegen, aber dort wiegen englische Interessen vor; ferner tritt Deutschland von den in seinem Besitze befindlichen Salomoninseln Choiseul und Isabella an England ab, aber diese Eilande haben sich für uns als ziemlich wertlos erwiesen. Das Recht, dort Arbeiter zu werben, bleibt übrigens den Deutschen gesichert.

Zum Hundertsten Geburtstag Heinrich Heines. Am 13. Dezember 1799 kam zu Düsseldorf am Rhein ein Dichter zur Welt, dem der deutsche Liederschatz eine Fülle köstlicher Gaben zu danken hat, der Dichter der „Lorelei“ und der „Jungen Leiden“, aus dessen „Buch der Lieder“ Schubert, Schumann, Felix Mendelssohn, Robert Franz und andere große Musiker die Texte zu vielen ihrer bezauberndsten Weisen entnahmen. Dieser Dichter, in dessen Liedern zumeist die Schwermut eines unglücklichen Herzens waltet, war zugleich einer der witzigsten Köpfe des Jahrhunderts, in dessen Schriften sich neben keckster Laune ein satirischer Geist offenbart, der ihm von seinen Bewunderern den Namen des „deutschen Aristophanes“ eintrug.

Bewundert viel und viel gescholten war Heine während seines Lebens und nach seinem Tode. Manche Patrioten nahmen Anstoß an seinem Hohn über deutsche Zustände und an seiner Sympathie für französisches Wesen. Die Männer, welche eine sittliche Bildung des Volkes anstrebten, mißbilligten den leichten frivolen Ton so mancher seiner späteren Gedichte und hoben hervor, daß dem Charakter des Dichters das feste Rückgrat fehle und daß sein schwankender und irrlichterierender Geist nur dazu beitragen könne, die deutschen Gemüter zu verwirren. Sie übersahen dabei oft, daß Uebertreibung im Wesen der Satire liegt und daß Heines bewegliches Talent nicht so kerzengerade einherschreiten konnte wie Charaktere aus einem Gusse. Heine muß aus seiner Zeit und seiner subjektiven Eigenart heraus begriffen werden, will man gerecht sein. In den von ihm hinterlassenen Memoiren über seine Jugendzeit, die vor 15 Jahren zuerst in der „Gartenlaube“ erschienen (herausgegeben von E. Engel, Jahrg. 1884, S. 100 u. f.), hat er uns einen tiefen Einblick in die Verhältnisse gewährt, aus denen er hervorging. Auch die Erinnerungen, welche Heines Bruder Maximilian, Heinrich Laube, H. Rohlfs, Arnold Ruge, Ludwig Kalisch in der „Gartenlaube“ früher erscheinen ließen, waren wichtige Beiträge zum Verständnis der „Zerrissenheit“ seines Wesens, die in den allgemeinen Zuständen des „Vormärz“ begründet war. Die Verehrer des Dichters fragten nicht ängstlich nach seinem politischen oder sonstigen Glaubensbekenntnis. Hat doch selbst der junge Bismarck, der mit Heine durchaus keine Seelenverwandtschaft hatte, ihn in seinen Briefen gern citiert. Und die Kaiserin von Oesterreich, die dem Dolch eines Mörders erlag, hat dem Dichter ein Denkmal gesetzt in ihrem Zaubergarten auf der Insel Korfu, das die homerischen Gewässer umfluten.

Ueber Bleibendes und Vergängliches entscheidet die Zeit; sie ist der strengste Censor. Von manchem Dichter, der bei seinen Zeitgenossen in hohem Ansehen stand, lebt bald nach seinem Tod nur noch ein einziges Werk in Wirklichkeit weiter. Bei Heine ist das Bleibende und Vergängliche schwer zu sondern. Es haftet selbst dem Besten, was er geschaffen, mancher vergängliche Flitter an, der nur einer vorübergehenden Zeitepoche als glänzend und blendend erschien. Doch die Zeit streift diesen Flitter ab oder läßt ihn sich gefallen, wenn die Bedeutung des Werks so groß ist, daß man über störenden äußeren Behang hinwegsehen kann. Das gilt selbst von mancher Prosaschrift Heines, deren Wirkung ursprünglich nur für die Kämpfe des Tags berechnet war. Dies gilt vor allem vom ersten seiner Reisebilder, der „Harzreise“, deren liebenswürdige Frische und Stimmungsfülle immer neue Leser unwiderstehlich ergreift. Als lyrischer Dichter nimmt Heine einen hohen Rang ein. Nach Goethe und Eichendorff hat Deutschland keinen größeren Liederdichter gehabt. Manche Lieder sind von einheitlichem Guß, von bezauberndem Schmelz; in anderen stört die ironische Wendung am Schlusse. Diese Ironie gehört einer Zeit des „Weltschmerzes“ an, in welcher ein gereizter Humor der Verzweiflung an die edelsten Empfindungen seine Fragezeichen heftete. Oft aber äußert sich darin auch nur der Humor, der ein gutes Recht dazu hat, die Ueberschwänglichkeit der Empfindung an die kargen Voraussetzungen unserer irdischen Existenz zu erinnern. Nun hat Heine gerade hierin Schule gemacht; das alles war so leicht zu kopieren! Doch die Kopien schadeten dem Original. So tiefgreifend war indes Heines Einfluß, daß auch begabte Dichter von einer sonst selbständigen Eigenart sich demselben nicht zu entziehen vermochten. Gar mancher von ihnen, wie Emanuel Geibel, hat dies dankbar stets anerkannt. So sind auch Heines größere satirische Dichtungen, sein „Deutschland, ein Wintermärchen“ und sein „Atta Troll“ nicht der Vergessenheit anheim zu geben. Sie tragen so viele geniale Züge, daß sie einen bleibenden Wert besitzen. Ihre Schärfe ist freilich nur aus der Zeit heraus zu erklären, in der sie entstanden; das Deutschland des Heineschen Wintermärchens ist glücklicherweise das heutige nicht mehr; vieles, was der Dichter verspottete, hat der Sturm der Zeit fortgeweht; zu den Mächten aber, die den Sturm entfesselten, gehörten Heines Witz und Satire. Tief Ergreifendes enthalten Heines letzte Gedichte, die im „Romanzero“ und später erschienen. Er schuf sie als Schwerkranker in seiner Matratzengruft. Es ist wahr: hier und dort weht die Stickluft der Krankenstube, und es fehlt auch nicht an den Cynismen, mit denen die menschliche Bedürftigkeit ihr Elend fortzuspotten sucht. Doch welch ein genialer, unter Thränen lächelnder Humor beseelt viele dieser Gedichte! Eins derselben, welches die Passionsblume besingt, gehört zu dem Großartigsten, was Heine geschaffen hat, und erfüllt den Leser mit tiefem Mitleid für das schließliche Schicksal des Dichters, der in der trüben Zeit der Metternichschen Patriotenverfolgung den Satz schrieb: „Das deutsche Wort ist unser heiligstes Gut, ein Grenzstein Deutschlands, den kein schlauer Nachbar verrücken kann, ein Freiheitswecker, dem kein fremder Gewaltiger die Zunge lahmen kann, die Oriflamme in dem Kampf fürs Vaterland, ein Vaterland selbst demjenigen, dem Thorheit und Arglist ein Vaterland verweigern.“

Bei der Kräutlerin. (Zu dem Bilde S. 833.) In dem buntbewegten Straßenleben Wiens bilden die „Krautlerinnen“, die an ihrem „Standl“ Gemüse und Obst verkaufen, ein besonders charakteristisches Element. In aller Herrgottsfrühe, wenn es kaum dämmert, sind sie schon geschäftig. Sie kaufen von den Landleuten, die mit ihren schwerbeladenen Wagen bereits nach Mitternacht am Platze sind, ihre Waren ein, die dann gar kunstvoll auf dem Standl oder in Körben und Butten zu einladender Besichtigung aufgebaut und ausgebreitet werden. Kaum ist der Bau vollendet, so trippelt auch schon die erste

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 835. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0835.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2019)