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II. Für Erwachsene. „Leberecht Hühnchen gehörte zu den Bevorzugten, denen eine gütige Fee das beste Geschenk, die Kunst glücklich zu sein, auf die Wiege legte; er besaß die Gabe, aus allen Blumen, selbst aus den giftigen, Honig zu saugen.“ Diese Worte, mit welchen Heinrich Seidel den liebenswürdigen Helden mehrerer seiner liebenswürdigsten Erzählungen vorstellt, sind bezeichnend für den Dichter selbst, dessen Poesie dem Leser in so anmutig heiterer Weise zu Gemüt führt, daß zum Glücklichsein vor allem gehört, die eigenen Ansprüche ans Leben im Einklang zu halten mit den Verhältnissen, über die man verfügt. Alle die vielen, welchen bereits Leberecht Hühnchen und seine Gesinnungsverwandten gute Bekannte sind, werden sich mit uns freuen, daß „Heinrich Seidels erzählende Schriften“ gegenwärtig im Verlag der J. G. Cottaschen Buchhandlung in Stuttgart in einer Gesamtausgabe erscheinen, die nach Gediegenheit der Ausstattung und Wohlfeilheit des Preises sich den Volksausgaben anschließt, welche im Laufe der letzten Jahre die Werke von Grillparzer, Anzengruber, Auerbach, Riehl im gleichen Verlage erlebten. In der zierlichen, längst beliebten Geschenkausgabe, in welcher die Erzählungen und Gedichte Seidels bisher erschienen, hat sich im gleichen Verlag ein neuer Band eingestellt: „Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande“. In seiner kraftvollen niederdeutschen Eigenart gemahnt der in dieser lustigen Knaben- und Schelmengeschichte waltende Humor an Fritz Reuter, ohne daß dieser Anklang dem originellen Reiz der Erfindung Abbruch thäte.

Auch sonst steht ein gut Teil der uns vorliegenden Erzählungen im Zeichen des Humors. Er herrscht vor in „Richard Leanders Sämtlichen Werken“ (Leipzig, Breitkopf u. Härtel), wie er im besondern dieses Autors köstliche Märchen „Träumereien an französischen Kaminen“ auszeichnet, und nicht minder in Victor Blüthgens neuer Gabe „Das Weihnachtsbuch“ (Leipzig, Ernst Keils Nachf.), welche allerlei Weihnachtliches in Vers und Prosa enthält, darunter mehrere Erzählungen, die schon beim Erscheinen in der „Gartenlaube“ unsere Leser erfreuten; mit seinem reichen poetischen Inhalt voll Weihnachtsstimmuug, seinen Kunstbeilagen und Textillustrationen, ist es so recht berufen, auf vielen Bescherungstischen das „Weihnachtsbuch“ zu bilden. Der neue Band der Schriften von Hans Arnold: „Christel und andere Novellen“, mit Illustrationen von W. Claudius (Stuttgart, A. Bonz u. Komp.), umfaßt zehn kleinere Geschichten, deren herzerfrischender kräftiger Humor zumeist dem Familienleben entstammt. Auf einer humoristischen Grundidee beruht auch der neue Roman, den Peter Rosegger dieses Jahr seiner großen Gemeinde bietet: „Erdsegen. Vertrauliche Sonntagsbriefe eines Bauernknechts“ (Leipzig, L. Staackmann). Die „Sonntagsbriefe“ sind von einem modernen Städter geschrieben, der sich als Knecht auf einem kleinen Bauerngut in Steiermark verdingt hat, um das Landleben gründlich kennenzulernen: die rauhe Arbeit dort, der Verkehr mit arbeitsamen schlichten Menschen macht ihn glücklich und heiter. Auf demselben Stimmungskontrast beruht „Martinhagen. Eine Geschichte abseits der Heerstraße“ von Julius Stinde, mit 30 Federzeichnungen von R. Knötel (Berlin, Freund u. Jeckel). In dieser fein humoristischen Erzählung erlebt ein anspruchsvolles Mädchen aus Berlin, das als Gouvernante auf einen Pachthof kommt, durch den Einfluß ihrer neuen Umgebung, seine sittliche Läuterung. Eine originelle Satire auf moderne Kleinstädterei, im Stil an Jean Pauls „Siebenkäs“ erinnernd, ist die „Spießhagener Geschichte“ „Heinrich Zwiesels Aengste“ von Heinrich Steinhausen (Berlin, G. Grote). „Unter lachender Sonne“ heißt bezeichnend ein Band lustig erfundener, flott erzählter Humoresken von Max Hartung (Berlin, O. Janke). Warme Empfindung und sinnige Gemütsart sprechen sich anmutend aus in den Novellen und Skizzen „Erlauschtes und Erträumtes“ von Else Hofmann (Leipzig, P. List).

Vor Amalfi. Von R. Püttner.
Aus dem Cotta’schen Musenalmanach für 1900.

Auf der „Sonnenseite des Lebens“ spielt sich auch das schöne Liebesidyll ab, das dem zuerst in der „Gartenlaube“ erschienenen, nun als Buch vorliegenden Roman „Das Schweigen im Walde“ von Ludwig Ganghofer (Berlin. G. Grote) seinen eigentümlichen Zauber verleiht. Aber auch tragische Schatten fallen auf dies sonnige Lebensbild aus dem bayrischen Hochland. Noch mehr ist dies der Fall in Adolf Wilbrandts Roman „Der Sänger“, dessen Held ein Mainzer Schlossergesell ist, den ein freundlich Geschick auf die Höhen einer beglückenden Künstlerlaufbahn emporführt. Noch einen zweiten Band bietet der Cottasche Verlag von Wilbrandt. Er enthält die zwei kleineren ergreifenden Erzählungen „Erika“ und „Das Kind“. Wie die letztere ist unseren Lesern auch der machtvoll spannende, die Schrecken der Wüste und die Herrlichkeit der Hochalpenwelt packend schildernde Roman „Montblanc“ von Rudolf Stratz schon bekannt, der als Buch nun auch im genannten Verlage erschienen ist, in welchem J. C. Heers tiefpoetischer Schweizer Alpenroman „An heiligen Wassern“ gegenwärtig bereits in vierter Auflage im Druck ist. Ernste und heitere Geschichten aus Tirol vereinigt der gehaltvolle Band „Ueber Berg und Thal“ von Rudolf Greinz (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt). In den Schwarzwald dagegen versetzt uns „Die Thalkönigin“ von Hermine Villinger, die hier aus romantischen Voraussetzungen ein Werk kraftvoller Charakteristik entwickelt hat (Stuttgart, A. Bonz u. Komp.). Genaue Kenntnis der Landschaft und Bevölkerung des Elsaß und ein frisches ansprechendes Erzählertalent offenbart in dem bei Cotta erschienenen Roman „Stille Wasser“ Hermann Stegemann. Ein neuer Name, an den sich Hoffnungen knüpfen! Das letztere gilt auch von den Verfassern zweier im gleichen Verlag erschienenen Romane, die uns mitten hinein in die Kämpfe führen, welche im letzten Jahrzehnt das politische und soziale Leben im deutschen Vaterlande bewegt haben. Ernst Heilborn schildert in „Kleefeld“ das Schicksal eines hohen Regierungsbeamten, der nach Bismarcks Rücktritt seine Entlassung nimmt und dann in einem kleinen Hause eines Berliner Vororts, in welchem ihm die Jugendgeliebte den Haushalt führt, ein friedliches Alter findet. Der Kampf ums „Frauenrecht“, der hier gestreift wird, schlägt die Grundaccorde an in dem dramatisch bewegten Roman „Der Weg zur Erkenntnis“ von Wilhelm Arminius. Die Heldin ist die Tochter eines unschuldig Verurteilten; das begründet den Fanatismus, mit dem sie für die Frauenrechte eintritt und von dem sie dann durch schmerzliche Erfahrungen befreit wird.

Ein sozialer Roman ist auch derjenige, den der Verlag der „Gartenlaube“, Ernst Keils Nachfolger, als Neuheit auf den Weihnachtsbüchertisch legt: „Schloß Josephsthal“ von Marie Bernhard. Das Werk hat bei seinem ersten Erscheinen in diesen Spalten allgemeines Interesse erregt, das gleich sehr der sympathischen Charaktergestaltung der Heldin, die als Erbin ihres reichen Vaters die Wohlthäterin seiner Arbeiter wird, wie der spannenden kriminalistischen Verwicklung galt, welche der an dem Fabrikanten verübte Mord zur Folge hat. Verwandt in der Tendenz mit diesem Werk unserer beliebten Mitarbeiterin ist „Der Armenpastor“ von Arthur Sewett (Dresden, C. Reißner), dessen Held sich als Seelsorger praktisch an der Lösung der sozialen Frage versucht und das Mädchen seiner Liebe, die Tochter eines stolzen Großindustriellen, zu gleichem Wirken begeistert. Im Keilschen Verlag erschienen auch in 2. Auflage die Geschichte in Briefen von R. ArtariaDas erste Jahr im neuen Haushalt“, die im Gewande eines unterhaltenden Romans jungen Hausfrauen vortreffliche Unterweisung giebt, und der Roman aus Weimars Blütezeit „Brausejahre“ von A. v. d. Elbe, in welchem Goethes erste Erlebnisse in Jlmathen poetische Darstellung erfuhren. In frühere Zeiten versetzen uns auch die kulturhistorischen Novellen aus dem Handwerkerleben „Aus eigener Kraft“, ein Buch, das der Verfasser Eduard Braunfels mit Recht als „goldenes Buch für Meister, Gesellen und Lehrlinge“ Es ist vom Verleger Udo Beckert in Stuttgart mit

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