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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Gefälschte Briefe.
Ein Bild aus deutscher Geschichte.
Von Rudolf von Gottschall.

(Schluß.)


Von Tag zu Tag wurde der König verschlossener: jetzt, wo der einzige fehlte, gegen den er sich aussprechen konnte; seine Laune wurde immer unerträglicher. Grumbkow beugte sich knirschend unter den unverständlichen Zorn seines Herrn, aber Fürst Leopold von Dessau, der schon in seiner Jugend mit dem König auf kameradschaftlichem Fuße stand, ein Feuerkopf, den alles leicht erbitterte und verletzte, wollte sich diese offenbaren Zeichen des Mißtrauens und der Ungnade nicht länger gefallen lassen.

Eines Tags, als der König sich in sein Gemach zurückgezogen hatte, folgte ihm der Dessauer auf dem Fuße und trat unangemeldet und rücksichtslos ins Kabinett zu ihm. Der König sah sich allein mit ihm, dem er das Schlimmste zutraute, und griff nach seinem Degen; er war gefaßt darauf, sich gegen einen Mörder zur Wehr setzen zu müssen. Bei dieser Bewegung trat Leopold erschrocken zurück, riß seinen Degen von der Seite und warf ihn weit von sich weg.

„Das kostbare Leben Eurer Majestät zu bedrohen, bin ich weit entfernt; ich komme zu bitten, daß Sie es uns allen erhalten mögen! Ich sehe, daß ein geheimer Gram seit einiger Zeit Ihnen am Herzen nagt und daß auch ich mit anderen Augen als sonst angesehen werde. Woher kommt das? Ich fühle mich frei von jeder Schuld. Haben Sie aber einen Verdacht gegen mich, so unterwerfe ich mich willig jeder Untersuchung. Ja, ich entkleide mich meines Reichsfürstenstandes und will bloß als Unterthan behandelt werden; habe ich mich gegen Euer Majestät vergangen, so stehe mein Kopf dafür ein!“

Diese leidenschaftlichen Worte, der Ausdruck innerster Ueberzeugung, der Ausbruch eines warmen Gefühls versetzten den König in heftige Bewegung. Eine Zeitlang stand er schwankend und unschlüssig, innerlich kämpfend, nach Atem ringend; dann erwachte in ihm die alte Zuneigung zu dem Jugendfreund, er fiel ihm um den Hals, sah ihn starr an und fragte mißmutig: „Sprecht’, ist es denn wahr? Darf ich Euch trauen?“

„Das dürfen Euer Majestät,“ rief Leopold, indem er sich dem Könige zu Füßen warf, „mein Leben hab’ ich Ihrem Dienste geweiht, mein Blut will ich zum Zeugnis dafür hergeben!“

Der König hob ihn auf und schloß ihn noch einmal warm ans Herz. „Wohl denn, ich will Euch trauen! Hört mich an und sagt dann selbst, ob mir nicht genug Ursache zum Verdacht gegeben worden ist. Der Ungar, von Clement, bisher in den feindlichen Kabinetten von Wien und Dresden beschäftigt, doch jetzt ihnen untreu geworden aus Fürsorge für mein Wohl, für meine Person und Krone, hat mir Briefe gezeigt, in denen von allerlei Anschlägen wider mich die Rede ist. Darunter befinden sich Briefe des Prinzen Eugen, die Euch als Mitwisser nennen!“

„Schwerenot!“ rief der Dessauer, „das ist infam.“

„Man will mich gelegentlich mit Eurer guten Hilfe aufheben, den Kronprinzen auch, und diesen katholisch erziehen lassen!“

„Prinz Eugen von Savoyen,“ sagte der Dessauer, „mein alter Waffenfreund, mag dies oder jenes gegen uns auf dem Herzen haben; doch das wird er ausfechten in offenem Waffengange. Niemals würde er sich zu solchen Betrügereien und Hinterlisten hergeben, niemals kann er jene Briefe geschrieben haben. Und wie konnten Sie glauben, Majestät – pardon, doch das platzt so heraus! –, daß ein bewährter Feldherr wie ein Strauchdieb und Straßenräuber sich in den Hinterhalt legen würde?“

„Nun, dergleichen geht ja jetzt vor in Schweden und Frankreich,“ versetzte der König, „man muß ja alle Tage sich an den Kopf fühlen, ob er noch auf den Schultern sitzt!“

„Schwerenot,“ rief Leopold, der im Tabakskollegium gewohnt war, sein Lieblingswort auch dem König gegenüber nicht zu verschlucken, „dieser Clement muß ein abgefeimter Betrüger, ein vollkommener Schurke sein, daß er solche Dinge zu behaupten und falsche Zeugnisse zu schmieden wagt! Lassen Sie mich verhaften, Sire! Ich will so lange in Haft bleiben, bis der Elende, der mich so schmachvoll angeklagt hat, mir gegenüber steht. Man wird seiner doch habhaft werden können!“

„Er wird von selbst wiederkommen,“ meinte der König. „Dann mögt Ihr für seine Verhaftung sorgen!“

„Wir müssen seiner habhaft werden um jeden Preis!“ versetzte der Dessauer. „Legen Sie die Angelegenheit in meine Hand und unterstützen Sie mich durch ein Schreiben an den Betrüger!“

Der König fühlte sich in einer eigentümlichen Stimmung: erleichtert von der Beklommenheit, die ihn gepeinigt hatte, und doch wieder von leisen Zweifeln bewegt, indem er sich das Bild dieses Clement zurückrief, der ihm so vertrauenswürdig in seinem edlen offenen Wesen erschienen war und noch immer erschien. Doch der Würfel war einmal gefallen und der Dessauer erhielt freie Hand.

Der Domprediger Jablonski, als die unverdächtigste Persönlichkeit, mußte nach dem Haag reisen unter dem Vorwande, dort ein Werk über die reformierte Kirche veröffentlichen zu wollen. Er suchte Clement auf und teilte ihm mit, daß der König großes Verlangen habe, ihn wiederzusehen; er wünsche ihn dringend über Dinge zu sprechen, die sich schriftlich nicht erledigen ließen; nachher solle seiner Abreise nichts im Wege stehen. Nicht lange darauf kam der Major Dumontin, welcher als ein entschlossener Offizier dem Domprediger beigegeben worden war, zu Clement mit einem Briefe des Königs, in welchem dieser ihn einlud, sofort zurückzukommen, und wenn er sich nicht solange von seinen Geschäften in den Niederlanden trennen könne, wolle der König ihm bis Cleve entgegenreisen. Clement machte nicht die geringsten Schwierigkeiten und erschien wieder in Berlin.

Diesmal empfing ihn der König in seinem Kabinett, hinter einem Vorhang lauschte der Dessauer. Friedrich Wilhelm war wieder schwankend geworden – so bereitwillig, so ohne Zögern war der Ungar seiner Einladung gefolgt! Hätte er ein böses Gewissen, so wäre er doch draußen in voller Sicherheit geblieben! Und Clement benahm sich mit der größten Unbefangenheit und Treuherzigkeit!

„Es scheint doch nicht ganz richtig zu sein mit Seinen Angaben,“ sagte der König; „von einer Unternehmung des Wiener Hofes verlautet noch immer nichts!“

„Die Kabinette,“ versetzte Clement, „behalten ihre Trümpfe oft lange in der Hinterhand, das wissen Euer Majestät so gut wie ich. Doch ich habe Ihnen, Sire, ja die Urkunden vorgelegt!“

„Zeig’ Er mir sie noch einmal,“ sagte der König, „ich will sie noch einmal prüfen.“

„Ich habe die Schriften im Haag zurückgelassen bei einem Bekannten, den ich verpflichtete, sie niemand als mir auszuliefern; doch wenn Sie befehlen, werde ich sie selbst wieder herholen.“

Der König zögerte. „Die Wahrheit muß ans Licht kommen. So reis’ Er denn! Doch ich gebe Ihm einen Begleiter mit!“

Clement verbeugte sich und verließ das Kabinett des Königs.

Er war kaum hinaus, da trat Fürst Leopold zornglühend hinter dem Vorhang hervor. „Schwerenot! Majestät lassen den Halunken wieder entwischen! Halten Sie ihn fest, das sind Sie mir schuldig, Sire! Sie greifen doch sonst gehörig zu – warum diese Sammetpfötchen bei einem solchen Subjekt?“

„Nur Geduld, Vetter! Mißtrauen darf man ihm nicht zeigen, sonst ist unser Spiel verloren. Und ohne die Briefe können wir nichts anfangen. Gewiß – Ihr seid unschuldig! Aber warum sollte es nicht andere Verräter in meiner Umgebung geben? Aus den Fingern hat sich der Clement das alles gewiß nicht gesogen. Er hat einige falsche Angaben eingeschmuggelt; doch wenn wir die andern zusammenziehen, kann’s noch eine Summe zum Erschrecken geben!“

Leopold verließ den König betroffen und achselzuckend.

„Der Clement hat die schwarze Magie im Leibe,“ sagte er zu Grumbkow, „er hat den König verhext!“


Im Pavillon der Frau von Blasspiel strahlte eine Ampel, die einen farbigen Schein in den dämmernden Raum warf. Ungeduldig ging die Hofdame auf und ab – ihr Herz klopfte heftig

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0826.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2023)