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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


So sprudelte und jubelte er begeistert, und man trank auf die werdenden Bilder.

Und Cilgia nickte ihm lachend zu.

Da erwiderte der in der Sammetjoppe: „Es lebe das Land, wo Frauen wachsen wie Cilgia Premont und Männer wie Markus Paltram!“

Markus Paltram – wie immer, wenn der Name genannt wurde, sprach man lange über ihn.

Wohl war Markus Paltram der furchtbare Herr der Bernina, aber auch der, der sieben Menschenleben gerettet hatte. Mit scheuer Achtung sah das Volk zu ihm empor. Wenn es stürmt und schneit, wenn die Lawinen gehen und die Runsen krachen, ist er im Gebirge, Tag und Nacht. Er wittert, wo Menschen in Gefahr sind, er führt dem ermatteten Säumer das Pferd, er gräbt die verschneiten Züge aus.

So erzählt man weit und breit. Er muß so viele retten, hat sich die Sage gebildet, wie er auf den Höhen des Gebirges tötet.

„Er ist besser als sein Ruf,“ erwiderte Fortunatus Lorsa; „nennt mir einen einzigen Jäger, den er getötet hat! – Niemand weiß einen Namen, es ist ein leeres, ungreifbares Gerücht. – Er widerspricht ihm nicht, er lächelt dazu, wie wenn es wahr wäre, und gründet sein Königtum der Bernina auf den Aberglauben der Bergamasken, die von jeher alles Thörichte lieber annehmen, als was von gesunden Sinnen ist!“

Aehnlich sprach Herr Konradin.

„Und was sagt Ihr von ihm, Frau Cilgia?“ fragte der Maler.

Sie errötete und schwieg einen Augenblick.

„Die Freunde können es Euch erzählen,“ sagte sie halblaut, „daß niemand unter Markus Paltram schwerer gelitten hat als ich, aber er unter sich selbst noch mehr!“

Und das klang unendlich wehmütig vom Munde Cilgias. Es klang, als ob sie ihn noch immer liebe.

Mit Verwunderung hörten es die Freunde.

Sie hatte es mit Schmerzen gesprochen, damit Ludwig Georgy, der gewiß nicht wegen des Engadins von Rom zurückgekehrt war, aber sie mit seinen blauen fröhlichen Augen verschlang, nicht wieder in die Schwärmerei des letzten Tages von Puschlav verfalle. – –

Und sie kämpfte den letzten schweren Kampf.

Droben beim Kirchlein Santa Maria sah sie Markus Paltram.

„Also Markus, was habt Ihr mir zu sagen,“ flüsterte sie verlegen.

Da kniet der felsenfeste Mann bebend vor ihr.

„O Cilgia, sagt mir noch einmal – Ihr könnt es mir nicht genug sagen, daß Ihr mir verziehen habt! Es ist Oel auf eine Wunde, die immer brennt. – – Sagt: ist zwischen uns kein Glück mehr möglich? – Meine arme kleine mutterlose Landola spricht nur von Euch. – Ihr seid ihr alle Schönheit und Güte, alles seid Ihr dem Kinde – wie mir. – Ihr wißt, was Ihr mit einem guten Wort aus mir machen könnt!“

Als ob sich in seiner Brust eine Lawine löste, sprach er es.

„Steht auf, Markus – dort schlägt mein Bube seinen Reif – er darf uns nicht sehen!“ stammelte Cilgia.

Das Wort „mein Bube“ wirkte auf Markus Paltram wie ein Schlag. Er taumelte auf.

„Ja, die Kinder!“ sagte er wie geistesabwesend. „Ich sah gestern Euern Knaben mit meinem Kinde spielen – das war so sonderbar!“

Da spürte er, wie die goldbraunen Augen Cilgias in unendlicher Trauer und Liebe auf ihn gerichtet waren.

„Gebt mir noch ein spätes Glück, Cilgia!“ – Wort und Blick an dem gewaltigen Manne sind glühende Bitte, seine Hand sucht ihre Hand.

Cilgia atmet schwer, es ist, als wolle sie fliehen – da stößt sie es hervor:

„Es geht mir seltsam – ich sollte Euch verachten – ich sollte von Euch fliehen – und liebe Euch doch!“

„Cilgia!“ keucht Markus Paltram.

Ihre goldbraunen Augen umfloren sich.

„Nur eins – Markus – Auge in Auge – danach entscheide ich: habt Ihr ein reines Gewissen gegen meinen Knaben Lorenz, der den Namen Gruber trägt?“

Markus Paltram wird totenblaß, aber er ermannt sich.

„Cilgia – ich habe diese Frage erwartet – es giebt in meinem Leben keine Todsünde, als die, die ich mit Pia an Euch begangen habe – ihretwegen bin ich der Heimatlose unter den Menschen!“ –

„Das ist verziehen,“ ist ihre Antwort, „aber Gruber?!“ – Halb hofft sie, halb faßt sie der Schreck vor der Antwort, die kommen würde. Alles an ihr ist Beben und Spannung.

„Ich habe ihn gerecht gerichtet,“ sagt Paltram ruhig, doch in furchtbarem Ernst. „Ich schwöre es vor Gott – ich habe ein reines Gewissen gegen Gruber. – Hört und urteilt selbst: Ich verfolge eine Gemsenspur am Gletscher – da kracht ein Schuß – ich sehe mich um – entdecke niemand – spüre aber das warme rieselnde Blut am Bein – ich gehe vorwärts. – Da steht in wilden Eisblöcken vor mir Gruber – er hebt schon wieder das Gewehr zum Schuß – ich reiße meins auch an die Wange. – – So knieen wir Blick in Blick auf dreißig Schritt – alles, was ich mit Euch erlebt habe, geht in diesem Augenblick an mir vorüber! – ,Es ist Cilgias Mann,‘ denke ich – ich reiße das Gewehr zurück, stehe auf – ,du kannst nicht auf ihn schießen!‘ – Da kracht sein zweiter Schuß und die Kugel zersplittert neben mir das Eis – ich verliere die Besinnung – stürze auf ihn los – Mann gegen Mann ringen wir – da weiß ich nicht mehr, was ich thue – ein Stoß – er versinkt in einer Gletscherspalte, die voll Wasser steht – ich werfe ihm sein Gewehr nach – ich schleppe mich weiter und wasche meine Wunde an einem Bächlein. – – Als ich wieder einmal über den Gletscher ging, hatte sich die Spalte, in der Gruber lag, geschlossen. – Das ist mein ganzes Geheimnis aus dem Gebirge. – Nun richtet!“

Cilgia war ins Gras gesunken – sie hielt das Gesicht mit beiden Händen bedeckt. „Ich habe es gewußt!“ stöhnt sie. „O hättet Ihr mir an jenem Tag gefolgt, als ich hier Eure Hände nahm und Euch bat: ,Laßt ab von der Jagd!’“

Da hebt sie Markus Paltram empor. „Cilgia!“ sagt er voll innerm Jammer.

„Ich liebe Euch,“ flüstert sie verwirrt, „aber ich darf Euch nicht mehr angehören wegen meines Knaben. Es wäre zu grauenhaft – der Mann im Eis – der Vater meines Lorenz – schweigt um meines Knaben willen!“

Und zitternd drückt sie Markus Paltram die Hand. „Lebe wohl – Markus!“

„Ja, der Mann im Eis,“ wiederholt er dumpf. „Ich fürchte Gruber nicht – sogar in der Nacht habe ich dort gestanden, wo er ruhen muß! Ich weiß nur eins – ich habe ihn gegen meinen Willen töten müssen, das ist der Lohn für meinen Verrat in jener Fastnacht!“

„Lebe wohl, Markus! – sei gut – sei um meinetwillen gut! Nie dürfen wir uns wiedersehen – nie – nie!“

Und gegen das Dörfchen hinab schwankt Cilgia Premont.

Sie sieht die ringsum strahlende Gebirgswelt nicht, sie sieht nur das gräßliche Bild, von dem sich der Schleier gehoben hat. Und sie liebt den, der ihren Mann erschlagen hat! –

In der Einsamkeit des Gebirges aber irrt Markus Paltram.

Ist es ein Gaukelspiel der Hölle, daß er glaubte, auch nur einen Augenblick glaubte, Cilgia könnte je die Seine werden?!

Die Hoffnung lebte nur in seinem heißen Blut, sein Verstand glaubte nie daran. Und er neidete Aratsch und seine Geliebte, denn die dürfen wandern einen ganzen Tag.

Sie aber wird er nie – nie – wiedersehen!

Er steht im fahlen Mondschein am Morteratsch – und die Stadt im Eise schimmert – die Spalten flimmern. Da fällt es wieder über ihn:

„Das Geschlecht Paltram muß untergehen!“

Und eine sonderbare Angst überfällt ihn. Seine kleine Landola hat mit dem Knaben Cilgias gespielt, mit dem Sohne Grubers. Und das kleine heiße Herz hängt an dem Bilde Cilgias. In seltsamen Ahnungen spürt er irgend eine Gefahr für sein Kind. Und wie ist sie ihm lieb, seine Landola! (Fortsetzung folgt.)     


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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0814.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2023)