Seite:Die Gartenlaube (1899) 0767.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Schiffsverkehr zuzuschreiben. So gelangte die neu eingewanderte Ratte jedenfalls nach England, wo sie bereits 1730 erschien, und auf gleichem Wege ist sie heute, dem Europäer folgend, nach den entferntesten Punkten der Erde gekommen, wo immer die vielfach verzweigten Fäden des Schiffsverkehrs hinführen.

Von der Hausratte unterscheidet sich die so plötzlich in Europa erschienene Rattenart äußerlich leicht durch die Färbung. Während die Hausratte, wie erwähnt, oben und unten ein schwarzes Fell trägt, ist die andere Art zweifarbig, oben bräunlichgrau, etwa erdfarbig, unten weißlich. Ohne daß wir des näheren auf anatomische Unterschiede eingehen wollen, sei noch erwähnt, daß die Körpergröße beträchtlicher als bei der Hausratte ist, der Schwanz dagegen kürzer und die Ohren kleiner.

Die Art ihres Auftretens in Europa verschaffte dieser Ratte den Namen Wanderratte, welcher auch in der wissenschaftlichen Bezeichnung Mus decumanus zum Ausdruck kommt. In England erhielt sie die Bezeichnung hannöversche Ratte, rat hannoverian, ein Name, der nicht ohne politischen Beigeschmack ist.

Die Wanderratte unterscheidet sich jedoch nicht nur in der Gestalt, sondern auch in ihrer Lebensweise beträchtlich von der Hausratte; im Gegensatz zu dieser bevorzugt sie für ihren Aufenthalt in menschlichen Wohnungen Keller und Erdgeschoß, hält sich auch mit Vorliebe in Gräben, Kanälen und Flußufern auf, und so vorzüglich die Hausratte klettert, so gut versteht die Wanderratte zu schwimmen, was ihr an manchen Orten, freilich fälschlicherweise, auch den Namen Wasserratte verschafft hat.

Leider ist aber auch der Charakter der Wanderratte wesentlich unangenehmer als der der Hausratte. Mit ihrer größeren Stärke und Kraft steht es im Zusammenhang, daß sie weit gewaltthätiger ist als ihre zahmere Verwandte, ja sogar von entschiedener Mordlust beseelt ist. Die zahlreichen Fälle, in welchen selbst Menschen von Ratten angenagt wurden, ihr tollkühner Wagemut in der Gefahr legen lebhaftes Zeugnis hierfür ab.

Mit dem Erscheinen der Wanderratte waren für die Hausratte die schönen Tage vergangen. Ein erbitterter Kampf entspann sich zwischen den beiden nah’ verwandten Arten, ein Kampf, der ein förmlicher Vernichtungskrieg der Wanderratte gegen die Hausratte wurde, denn wo die beiden Arten zusammentrafen, da griff die stärkere Wanderratte den schwächeren Vetter an und tötete oder vertrieb ihn.

Im ganzen darf die Hausratte heute als vertrieben angesehen werden, und wenn dieselbe doch noch in Deutschland angetroffen wird, so ist dies nur an sehr entlegenen Orten, auf einsamen Höfen und an sonstigen weltabgeschiedenen Punkten. In den Städten haben sie sich nur noch, wie Angaben aus Hamburg, Rostock u. a. Orten aus dem letzten Jahrzehnt beweisen, in den ältesten Häusern zu halten gewußt. – Je seltener solche Vorkommnisse heute noch sind, um so interessanter ist es, dieselben wissenschaftlich festzulegen und so das Verschwinden einer einst allgemein verbreiteten Tierart bis in deren letzte Ausläufer zu verfolgen. Ein jeder kann hierzu mithelfen, wenn er in seiner Heimat hierauf das Augenmerk richtet oder wenn er, vielleicht an einsamem Ort in einem deutschen Mittelgebirge die Sommerwochen verbringend, an solchen Punkten hierüber Nachforschungen anstellt. Daß dies leicht von Erfolg gekrönt sein kann, beweist ein Vorkommnis aus Württemberg in jüngster Zeit. Hier galt die Hausratte als längst verdrängt; da erhielt vor einigen Monaten Prof. Dr. Gustav Jäger in Stuttgart ein Exemplar aus seinem einsam gelegenen Landhaus; nähere Nachforschungen ergaben, daß in einem einige hundert Schritte entfernten kleinen Weiler sich noch eine Kolonie Hausratten vorfand.

Wie Ureinwohner eines Landes, von späteren Einwanderern zurückgedrängt, in den entlegensten und unzugänglichsten Teilen des Landes zwischen Felsen oder in undurchdringlichen Wäldern noch ein verborgenes Dasein fristen, die letzten Reste eines vielleicht einst mächtigen Stammes, während der Sieger die frühere Heimat in Besitz genommen hat, so mag es noch manchen einsamen Ort geben, an welchem die Hausratte als letztes versprengtes Glied einer einst weit verbreiteten Art sich vor den Verfolgungen ihres mächtigen Gegners, der Wanderratte, zu retten gewußt hat.


Villa Falconieri bei Frascati.

(Zu unserer Kunstbeilage.)

Als junger Mensch durchstrich ich die römische Campagna zu Fuß und zu Pferd nach allen Richtungen. So oft ich bei diesen Ausflügen die wonnigen Höhen Frascatis vor mir hatte, glänzte mir hoch über jener freudigen Weinstadt und gerade unterhalb des tusculanischen Berggipfels ein großes palastähnliches Gebäude entgegen. Aus der Ferne gesehen, schien es auf einem Felsenplateau zu liegen, welches gleich einem schönen Eiland mit nackten, steilen Wänden der schimmernden Laubflut der in jener Gegend alle Höhen bedeckenden, alle Tiefen füllenden Oelwälder entstieg.

Bei besonders klarer Luft und günstiger Beleuchtung vermochte ich sogar von den Thoren Roms aus eine feierliche Säulenhalle zu erkennen, eine prächtige Terrasse, die Wipfel mächtiger Steineichen, überragt von den Kronen breitwipfliger Pinien, den dunklen Spitzen alter Cypressen. Es mußte eine von Frascatis Villen sein. Da ich ihren Namen nicht kannte und da der hohe Bau etwas so Feiertägliches und zugleich Strahlendes hatte, so taufte ich ihn das „leuchtende Haus“. Oft stieg ich nur deshalb auf den Palatin, um von dort aus nach dem hellen Punkt hinüberzuschauen, den mir meine Phantasie als einen Garten Eden, als ein Gefilde der Seligen vorgaukelte. Eine heftige Sehnsucht ergriff mich, dem Gedränge und Getöse des modernen Roms zu entfliehen und vor jener schimmernden Halle im Schatten der Steineichen wonnige Rast zu halten; und so ritt ich denn eines schönen Junimorgens voll freudiger Erwartung zur Porta San Giovanni hinaus.

Es war schon heiß, die Landschaft bereits hochsommerlich. Ein feiner, fahler Dunst umbraute das Sabinergebirge. Zu beiden Seiten der Straße lag mit braunen Ruinen übersätes Weideland, dicht bedeckt von rotem Mohn, so daß die wilde Steppe zu glühen schien. In gewaltigen Bogen durchzogen die zerstörten Wasserleitungen die flammenden Felder; Falken kreisten darüber, von Zeit zu Zeit einen gellenden Schrei ausstoßend. Vor mir stieg ein schwarzer Streifen zu dem wolkenlosen, veilchenblauen Himmel auf. Es war eine Cypresse, an meinem Wege der einzige Baum. Aber einer Fata Morgana gleich erhob sich aus der sommerlichen Campagna das Albanergebirge mit dem feierlichen Gipfel des Monte Cavo, mit seinen Olivenwäldern und bacchischen Rebengefilden, von dem Kranz freundlicher Städte und heller Landhäuser wie zu einem Feste geschmückt. Kein Ort jedoch und kein Haus leuchtete mir so lockend entgegen wie der einsame Palast auf der hohen Terrasse über Frascati, unterhalb der steilen Höhe, welche einstmals die Burg von Tusculum trug. Ich ritt gerade darauf zu, wie magisch angezogen.

Ich erreichte Frascati, durchtrabte das hübsche Städtchen, ritt an dem stattlichen Dom und dem unscheinbaren Hause vorüber, darin Goethe gewohnt hatte, kam zu einem kleinen Platz, wo um eine schöne Fontäne eine Herde langhaariger Ziegen lagerte, und gelangte in einen Hohlweg, daran zu lesen stand: „Via di Villa Falconieri“. Jetzt wußte ich den Namen meines leuchtenden Hauses.

Der Weg dahin führte immerfort zwischen hohen Gartenmauern. Sie wurden auf der einen Seite von blühendem Caprifolium, auf der anderen von weißen Rosen überrankt. Wie Blumenbäche fielen die langen Gewinde vom Mauerrande herab, Kaskaden von Blüten bildend und einen Duft ausströmend, als wären Wohlgerüche verschüttet worden.

Alsdann erschien auf der linken Seite ein hohes Thor aus braunem, wie Goldbronze strahlendem Travertin, ein prächtiger Monumentalbau aus der Barockzeit. Auf dem Frontispiz hockte, mit ausgebreiteten Flügeln wachehaltend, ein riesiger Falke, das Wappentier des alten Fürstengeschlechts, zu dessen tusculanischem Landsitz das stolze Thor den Eingang bildete. Eine deutsche Eiche stand innerhalb des Thores, ein vielhundertjähriger Baum. Drei seiner mächtigen Zweige drängten sich durch das Falkenthor, so daß über dem Eingang der Falconieri eine schier königliche Krone schwebte: aus Eichenlaub geflochten!

Beide eisernen Thorflügel standen weit offen, als würde ein Gast erwartet. Ich ritt ein.

Ein Oelwald, in voller Blüte schimmernd, empfing mich. Aus dem blassen Laub quollen die silberhellen, traubenförmigen Blumen mit ihren goldigen Staubfäden in einer Fülle, als wäre hier der Garten der großen Göttin Pallas Athene. Auch hier brannte ringsum der Boden von dem Blütenfeuer des wilden Mohns. Dem roten Grunde entstiegen die lichten Stämme der Oelbäume und über den hellen Kronen spannte sich der Sommerhimmel Roms.

Jetzt eine zweite hohe Mauer und darin ein zweites barockes, pompöses Portal, den Namen seines Erbauers in tiefgegrabenen,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0767.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2023)