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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Sie horcht wie geistesabwesend – dann stürzt sie hin.

Sie liegt mit gebrochenen Flügeln wie der Adler, den Markus Paltram am Landsgemeindetag geschossen hat.

Der Pfarrer hebt sie auf.

Da flüstert die Taumelnde wie in einem wirren Traum: „Nicht wahr, er muß Pia zum Altar führen – er muß?“

Und ihr Schluchzen füllt das Gemach, in das die Morgensonne scheint.

„So wird es wohl sein,“ spricht Pfarrer Taß mit halber Stimme, „sonst ist er vor Gott und Menschen ehrlos. Doch Schuld über Schuld – er ist geflohen von der verratenen Braut und von der zukünftigen Mutter seines Kindes hinweg. – Tuons hat ihn am weißen Stein gesehen – o, schon vorgestern wußte es das Dorf.“

Drei Tage brütete Cilgia wortlos, thränenlos – sie hört nichts von dem Entrüstungsschrei, der die engadinischen Dörfer durchbebt: „Er ist halt doch ein Camogasker!“, nichts von dem Jammer des alten Mesners, der es allen Leuten erzählt: von Paolo Vergerios Zeiten an sei nie eine Braut im Strohkranz über die Kirchenschwelle von Pontresina geschritten – nur Pia müsse es jetzt thun!

Pfarrer Taß nimmt Cilgias Hand: „O, Cilgia, Leid ist schon vielen widerfahren, und ich weiß auch ein Lied davon! Wenn du in Tirano in die Häuser der Armseligen trittst, so findest du an den Betten der Kranken eine Nonne in weißem Haar, doch mit glanzvollen Augen. Jedes Kind kennt sie: Salome Forte! – wir konnten Glaubens halber nicht zusammenkommen.“

Doch Cilgia ist es, als ob den gleichen sengenden Schmerz Wie sie noch keine menschliche Brust erduldet habe, keine mehr erdulden werde. Sie reicht dem Pfarrer die Hand: „Onkel, ich habe einmal über dein Junggesellentum gescherzt – es thut mir leid!“

Und wie aus tiefem Schlummer erwachend, spricht sie mit ergreifendem Ton:

„Fort – fort von Pontresina – schon morgen, Onkel! Führe mich nach Fetan zu meinem geliebten Lehrer a Porta – hier kann ich nicht leben, und doch auch nicht sterben!“

Und der Pfarrer verstand sie und hatte Erbarmen.

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Es schneite, als müßte das Engadin in den Flocken untergehen, als der Schlitten, der Cilgia Premont entführte, thalwärts glitt.

Tuons führte sie und den Pfarrer.

Als sie aber an einem Wäldchen vorbeifuhren, reckte sich plötzlich eine Gestalt zwischen den seufzenden Tannen.

„Markus!“ wimmerte das Mädchen.

„Cilgia!“ stöhnte er wie ein wunder Stier.

Doch das Gespann verschwand in den Flocken. – –

So endete der herrliche Winter. Das Engadin wurde grün und die Blumen stickten ihre Pracht in den weichen Sammet der Fluren.

Da schritt Markus mit der würdigen Ergebung eines Mannes, der es weiß, daß er eine himmelanschreiende Thorheit begangen hat, mit Pia Colani, die einen Strohkranz trug, zum Altar.

Er wollte ein Ehrenmann bleiben, und vor grimmigen Schmerzen sah er es nicht, wie die lose Jugend mit den Fingern Rübchen gegen sein Strohbräutchen schabte.

(Fortsetzung folgt.)     


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Die deutschen Achtundvierziger in Amerika.

Von General Franz Sigel.

Die stolzen Hoffnungen auf Deutschlands Einigung und freiheitliche Gestaltung, welche der „Völkerfrühling“ des Jahres 1848 erweckt hatte, waren gescheitert. Weder durch Reform noch durch Revolution sollte vor fünfzig Jahren das heißerstrebte Ziel erreicht werden. Fruchtlos schien die Arbeit des Frankfurter Parlaments, König Friedrich Wilhelm IV von Preußen sah sich bewogen, die ihm angebotene Kaiserwürde abzulehnen, und die revolutionären Schilderhebungen für die Reichsverfassung wurden niedergeworfen. Mit rücksichtsloser Strenge verfolgte nunmehr die siegreiche Reaktion die bezwungenen Freiheitskämpfer, und in dieser trüben Zeit verließen Tausende freigesinnter Deutscher ihr Heimatland und suchten Zuflucht in der weiten Fremde.

Viele von ihnen lockte das ferne Amerika. Schon seit Jahrzehnten hatten deutsche Auswanderer den Ocean durchquert, und von ihnen kam die Kunde, daß unter dem Sternenbanner der jungen Republik noch Tausende und Millionen in voller Freiheit ihre Thatkraft entfalten könnten. So gingen auch die deutschen Achtundvierziger in Scharen übers Meer.

Ein halbes Jahrhundert ist seit jenen Tagen dahingerauscht, und die Geschichte des Deutschtums in Amerika giebt uns wohl das Recht, die Erinnerung an diese Einwanderung besonders zu feiern, denn jene Flüchtlinge zählten zu den besten und bedeutsamsten Einwanderern, die je den Boden der Neuen Welt betraten.

Diese deutschen „Freiheitskämpfer“ und „Weltverbesserer“ ließen in der neuen Heimat in dem harten Kampfe ums Dasein ihre Ideale nicht fallen, und so wirkten sie schöpferisch und anregend auf allen Gebieten des öffentlichen und privaten Lebens. Groß war vor allem ihr Einfluß auf ihre in den Vereinigten Staaten bereits eingesessenen Landsleute. Die Achtundvierziger weckten das deutschnationale Bewußtsein, wo es eingeschlummert war, und erwiesen sich als begeisterte Hüter und Förderer der deutschen Sitte, der deutschen Sprache und des deutschen Lieds, so ernst und treu sie auch die Bürgerpflichten dem neuen Heimatlande wahrten. Als Bürger des nordamerikanischen Freistaats gewannen viele von ihnen eine einflußreiche Stellung.

Unmöglich ist es, all die wackeren Männer namhaft zu machen, die sich, sei’s im Lehramt oder in der Presse, als Künstler oder Gelehrte, als Techniker oder Beamte, gleichzeitig als Pioniere deutscher Kultur und als Förderer des Staatsgedankens der nordamerikanischen Union bewährt haben. Doch sind wir in der erfreulichen Lage, eine Würdigung solcher Leistungen auf einem anderen Gebiete aus einer berufenen Feder unseren Lesern bieten zu können, eine Darstellung des großen Anteils, den das Deutschtum an dem Secessionskrieg von 1861 bis 1865 nahm, in welchem die für Beibehaltung der Sklaverei zu den Waffen greifenden Südstaaten von denen des Nordens sich losreißen wollten. Der von seinen Landsleuten in Amerika hochgeehrte Veteran General Franz Sigel, der 1849 Obergeneral im badisch-pfälzischen Aufstand war, im Secessionskrieg 1862 das I. Korps der Armee von Virginien kommandierte, schrieb, unserer Einladung folgend, die nachstehenden treffenden Ausführungen.Die Redaktion.     

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„Sowohl in Deutschland wie in der Schweiz und ‚an dem fernen Strande Amerikas, wohin sie der Sturm von 1848 hinweg riß,‘ bewahrten die Deutschen mit herzlicher Wärme und mit dem Gefühl der jungen, trotz allen Mißgeschickes noch unbesiegten Kraft den hohen Glauben an die große Zukunft ihres Volkes. Uns, denen in jener Zeit die Vereinigten Staaten eine neue Heimat wurde, hat es immer mit freudiger Genugthuung erfüllt, wenn die amerikanischen Studenten, die nach Deutschland gezogen waren und deren Freundschaft wir uns erworben hatten, nach der Rückkehr erzählten, daß in unserer einstigen Heimat, an der Wiege unserer stolzen Hoffnungen und Träume, der ‚Völker-Frühling‘ noch nicht verblüht sei, daß an den Universitäten wie im Volke noch unausrottbar tief der Glaube wurzele an eine baldige Verwirklichung der deutschen ‚Einheit und Freiheit‘.

Männer wie Bancroft, Motley, Lowell, die längere oder kürzere Zeit in Deutschland gelebt hatten, berichteten in Wort und Schrift, daß ihnen in Deutschland neue Offenbarungen gekommen seien in Wissenschaft und Politik, und versicherten uns, daß aus dem Vertrauen in eine bessere Zukunft, das sie in Deutschland vorgefunden, auch über kurz oder lang die deutsche Einheit hervorgehen werde. Mit Bewunderung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0720.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2023)