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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Und seine Augen funkeln.

Die Burschen beginnen zu grollen, die Mädchen fürchten ihn, aber auf alle Vorstellungen seiner Braut und der Freunde antwortet er nur mit einem tollen Lachen: „Ich bin der Doge von Venedig!“

„Es geht in die Fastnacht,“ hofft die Dogaressa, aber sie sitzt wie auf Kohlen und ist doch blaß; sie plaudert, um ihr Inneres zu verbergen, zerstreut mit Pia, die als armseliges Mäsklein eben noch mit andern geringen Masken durch den stolzen Schwarm der schön Kostümierten geflogen war.

„Du Närrchen, schau mich doch nicht so grenzenlos neidisch an! Das ist ja nur Fastnachtsgewand!“

Und Cilgia ärgert sich auch über Pia.

Endlich, endlich ist die ersehnte Stunde erlebt. Wie wird sie daheim im Pfarrhaus den Mummenschanz von sich reißen!

Der Doge und die Dogaressa tanzen die letzte Runde.

Im Sonnenaufgang des Winters ist die Bernina rot wie Blut, und ein Gespann gleitet aus Samaden in den rötlich erflimmernden Schnee.

Doch Markus und Cilgia, die ein Bärenfell vor der beißenden Kälte des Morgens schützt, haben kaum das äußerste Haus des Fleckens hinter sich, so spricht jener:

„Dogaressa, einen Kuß!“

Er spricht es, den Kopf voll Musik und Wein, im Ton des Befehles. Er zittert vor Leidenschaft.

„Jetzt nicht, Markus!“ antwortet die Dogaressa traurig, „ich mag nicht.“

„Einen Kuß!“ herrscht er sie an – und plötzlich richtet er, ihre Hand unter dem Bärenfell ergreifend, die Augen in schwüler Gier auf sie – die Augen, mit denen er Leidenden die Schmerzen stillte – die schrecklichen Augen, die sie im Rosegthal an ihm gesehen hat.

Ein stummes Ringen der Blicke spielt zwischen Doge und Dogaressa.

Ihr blasses schönes Haupt übergießt sich mit Rot – sie flammt auf:

„Geh mit deinen Faxen zu Pia!“

Er hört es kaum, was sie spricht; er sieht nur, wie schön sie ist in ihrem bebenden Zorn, sein glühendes Gesicht verzerrt sich, mit heftigem Arm umfaßt er ihre Hüfte, er reißt sie an sich und will sie mit Gewalt küssen.

„Tuons, halt!“ schreit die Dogaressa.

Und das Krönchen gleitet ihr vom Haupt.

Der Säumer, der mit den heimwärtsdrängenden Tieren so viel zu thun hat, daß er sich nicht darum kümmern kann, was hinter ihm vorgeht, hält verwundert an.

Der Doge hat einen Augenblick wieder die Vernunft erlangt und die Dogaressa losgelassen. „Es ist nichts, Tuons – wir haben das Krönchen –“ sagt der Doge.

Wie die Pferde wieder anziehen, sinkt die zitternde Dogaressa, die sich erhoben hat, durch den Ruck von selbst auf ihren Sitz zurück.

Der Schlitten jagt weiter, und zwischen den beiden herrscht peinvolles Schweigen.

Da springt im Morgensonnenstrahl ein armseliges Mäskchen, dem Gefährt ausweichend in den Schnee.

Cilgia erkennt Pia.

„Tuons,“ ruft sie, „laßt Euer Bäslein Pia zu uns hereinsteigen!“ Und die frierende Kleine klettert bereitwillig in den weichen Polsterschlitten.

Es ist nicht nur Mitleid, was die Dogaressa so thun heißt, es ist die Hoffnung, daß die Gegenwart des Schützlings beruhigend auf Markus wirken werde. – –

Sie haben Pontresina erreicht, vor dem Pfarrhaus hält der Schlitten, die Dogaressa verabschiedet sich:

„Nein, Markus, begleite mich lieber nicht, fahre gleich mit Pia heim!“

Müde Und traurig spricht es die Dogaressa.

Er aber wirft ihr einen Blick voll Wut und Elend nach. – –

Von einer wundervollen Liebe ist der erste Duft gewischt – Cilgia möchte in Thränen ausbrechen – aber sie muß stark sein vor dem Pfarrer.

Er sitzt beim Morgenkaffee und lacht, wie sie so blaß und übernächtig ins Zimmer tritt.

Und ob das Herz bricht, sie erzählt, wie schön der Besuch in Madulein gewesen sei. – – –

Am zweitfolgenden Tag fragt der Pfarrer: „Markus braucht aber lange, bis er sich ausgeschlafen hat. Wo bleibt er?“

„Ich will ihn holen,“ erwidert Cilgia.

Sie tritt in seine Werkstatt, er lehnt blaß und finster mit unterschlagenen Armen an der kalten Esse.

„Cilgia!“ schreit er auf.

Etwas wie Grauen und Entsetzen steht in seinem Gesicht.

„Wir wollen doch keine grollenden Kinder sein, uns gegenseitig verzeihen und nie wieder Doge und Dogaressa spielen. Das Maskenkleid entwürdigt – das haben wir schrecklich erfahren.“

Sie spricht es gütig und hoffnungsvoll.

„So lache doch ein wenig, Markus,“ bettelt sie ängstlich.

Aber er lacht nicht – er verharrt in seinem Schweigen.

„Thu’ mir den Gefallen und komm wieder ins Pfarrhaus! Der Onkel darf nichts merken von unserm häßlichen Streit.“

Er stöhnt überrascht auf. Und er kommt wieder ins Pfarrhaus, doch er kommt wie ein gezüchtigtes Tier, er kann nicht mehr lieb sein, er zittert nicht mehr nach einem Kuß – freudlos kommt er, freudlos geht er.

„Liebst du mich nicht mehr, Markus?“ Durch ihre Stimme zuckt das heiße Verlangen. „Markus, rede, sonst sterbe ich!“

„Ich liebe dich wahnsinnig,“ antwortet er traurig, und eines Abends spricht er wie ein Sterbender: „Lebe wohl, Cilgia, mich siehst du nie wieder!“

Und wie ein Sterbender wankt er davon. – –

Es ist am Abend vor Chalanda Mars, dem Frühlingsfest des Engadins. Cilgia schließt in dumpfer Verzweiflung kein Auge, sie ahnt immer noch nicht, was geschehen ist. Da tönen durch den Schnee die Rufe der Jugend in den kaum ergrauenden Tag:

„Chalanda Mars – Frühling! – Frühling!“ – Und mit Hörnern und Trommeln, mit Pfannendeckeln und Kuhglocken, mit allem, was Lärm macht, zieht die Knabenschar durch das schlafende Dorf, und in jedes Fenster und in jede Thüre gellt ihr „Frühling! – Frühling!“

Es ist noch nicht Frühling: noch zwei Monate wird das Engadin unter Eis und Schnee schlafen, ehe sich die erste Blüte regt – aber die Jugend ist sein Herold: „Frühling – Frühling!“

„Lebe wohl, mein Frühling,“ wimmert Cilgia und tritt blaß in die Pfarrstube.

Um sechs Uhr schon kommt Tuons und treibt mit Faustschlägen die keifende, weinende Pia vor sich her.

Er läßt das Mädchen im Flur stehen und tritt in die Studierstube beim Pfarrer ein. Da naht sich Cilgia dem trotzigen Wildling:

„Was ist geschehen, Pia?“ fragt sie angstvoll.

„Jetzt habe ich Euch halt gebissen, Fräulein!“ erwidert die Hirtin voll höhnischer Genugthuung und schielt Cilgia, die Thränen zurückhaltend, mit den schönen Raubtieraugen wie im Genuß der Rache an.

„Armer Tropf!“ spricht Cilgia verachtungsvoll und wankt wieder in die Pfarrstube.

Da steht sie vor dem Bild der istrianischen Dulderin. Sie ahnt, ja sie weiß jetzt, was geschehen ist.

„O, wenn ich nur die Kraft hätte, zu verzeihen, wie du verziehen hast! Aber es ist schrecklich – ich habe die Kraft nicht“ – und sie hebt ihre Hände empor: „Sei barmherzig, Katharina Dianti – spende mir deine Stärke, siehe, ich leide wie du – ich leide mehr als du!“

So steht sie und hebt die gekreuzten Hände zu dem Bild empor.

Sie sieht es nicht, daß Pfarrer Taß schon eine Weile hinter ihr steht, erst sein Schluchzen weckt sie.

„O, Cilgia, du weißt noch immer nicht genug – selbst wenn du verzeihen könntest wie Katharina Dianti – es hälfe dir nichts!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0719.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2023)