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Kochs, dem gemeinen Plebejer, wie sie ihn nannte, der eine solche Gewalt sich anmaßte und ihren Sohn verzaubert hatte, zu schaden, wo sie nur konnte; sie organisierte den Widerstand gegen Amire-nizam am Hofe, spann Intriguen, deren üble Folgen auf fein angelegten Schleichwegen zu dem Schah gelangten, den Vezier als unheilvolle Person erscheinen ließen, Nassr-Eddin beunruhigten, ihm Unannehmlichkeiten bereiteten. Das Bestreben Amire-nizams, Persien von dem hemmenden Einfluß der ausländischen Mächte frei zu machen und eine selbständige Politik anzubahnen, benutzte die Königin-Mutter, die europäischen Gesandtschaften gegen den Vezier aufzubringen.

Nassr-Eddin glaubte nicht an die Verdächtigungen des Charakters seines Großveziers, aber er hielt nicht stand vor den fortgesetzten Einwänden und Drohungen der Gesandten; er war durchaus nicht willens, den Mann fallen zu lassen, aber er beschloß, durch ein Scheinmanöver die Gesandten zu beruhigen und die tausend Ränke der Unzufriedenen am Hofe und im Lande niederzudrücken. Auch ein ganz persönliches Gefühl beeinflußte ihn bei diesem Entschluß: der junge ehrgeizige Schah sah sich durch seinen gewaltigen Berater in Schatten gestellt und wollte nunmehr für eine Weile sein eigenes Licht leuchten lassen. Er ließ den Vezier zu sich entbieten.

„Amire!“ begann er, „es sieht augenblicklich übel aus bei unseren Gegnern, sie haben das Haupt mächtig erhoben, ihre Stellung ist drohend. Wir sind noch nicht so weit, daß wir ihren Groll ruhig ansehen könnten. Ich muß, so beschämend und widerwärtig das mir ist, für einige Zeit lavieren, und du mußt hierbei helfen. Ich baue auf deinen Patriotismus, der ja alles für mich und das Reich auf sich nimmt. Ich muß dich für einige Zeit verbannen, jedoch nur, um dann im Triumph dich wiederzuholen und mit noch größerem Glanz dich, den Freund meines Herzens, den Erretter Persiens aus tiefem Verfall, in deine Aemter und deine alten Würden wieder einzusetzen!“

Amire-nizam schaute seinen Monarchen einen Augenblick mit seinen mächtigen dunklen klaren Augen durchdringend an, dann antwortete er, trüb zur Erde sehend: „Diese Maßregel scheint mir gefährlich, hoher Herr; in dieser Zwischenzeit, deren Dauer kaum zu berechnen ist, werden unsere Gegner wieder die alte Macht gewinnen! Ohne Zweifel werden wir in unseren Arbeiten um ein großes Stück zurückgeschleudert werden.“

„Du siehst zu schwarz, Amire,“ entgegnete der Schah. „Hältst du mich für so schwach, daß ich nicht die Kraft und Gewalt hätte, das zu verhindern und dich, wenn es Zeit ist, wieder heranzuziehen?“

„Das nicht, Herr; jedoch giebt man unseren Gegnern nur einen Finger, reißen sie nicht bloß die ganze Hand, sondern auch den ganzen Körper an sich; der scheinbare Triumph wird ihren Mut stärken, ihre Kräfte verdoppeln, und sie werden wie hungrige Wölfe über alle unsere Einrichtungen herfallen und sie zu vernichten suchen; sie lauern nur auf den Augenblick, der ihnen das möglich macht, und dann, o König, können die Umstände, welche aus dieser Wandlung entspringen werden, sich stärker erweisen als dein edler Sinn, dein hoher Mut und deine große Thatkraft.“

„Es muß sein, Amire, füge dich!“ sprach der Schah. „Ich habe mir diese Möglichkeiten auch vorgestellt, und es ist auch viel Wahres in dem, was du sagst. Aber du siehst sicher zu schwarz, wir haben der Macht des Alten einen zu schweren Stoß versetzt, als daß sie sich davon erholen könnte; ich habe all das wochenlang erwogen und einen anderen Ausweg gesucht – es giebt keinen als diesen.“

„Den Gegnern kühn und offen, wenn es nötig, mit Eisen und Feuer, mit Schwert und Henker entgegentreten“ – versetzte der Vezier.

„Es ist das unmöglich, Amire,“ erwiderte Nassr-Eddin darauf. „England und Rußland, denen die Türkei, in gewisser Beziehung auch vielleicht Oesterreich sich anschließen werden, bedrohen meinen Thron, wenn ich die Vorstellungen der Gesandten nicht berücksichtige, ihre Unzufriedenheit nicht beschwichtige! Bring’ dies Opfer aus Liebe zu mir und zum Vorteil unseres Reiches!“

Der Amire-nizam hörte aus der Art, wie der Schah die Sache drehte und wand, aus dem Ton des Monarchen, daß dieser fest entschlossen war, zu thun, was er bei sich erwogen hatte. Er kannte den eigenwilligen Starrsinn, der manchmal den sonst feinklugen und edel veranlagten jungen Herrscher ergriff, und gegen welchen es vergeblich war, anzukämpfen; so gab es denn für ihn hier keinen anderen Ausweg, als sich vorläufig zu fügen. Er neigte resigniert das Haupt und sprach dumpf: „Thue, Herr, wie du es für gut findest, ich werde dem folgen, was du anordnest!“

Jetzt gab Nassr-Eddin dem Vezier einen Wink, er werde sich verstellen, worauf er laut und schreiend auf ihn einzureden begann, als sei er im höchsten Zorn. Dann zog er die Glocke und befahl der eintretenden Wache, den Amire festzunehmen, zu fesseln und in den Gefängnisturm zu führen.

Alles geschah, wie der Monarch befahl, der Amire-nizam wurde in das Staatsgefängnis gebracht, in Ketten gelegt und nach einigen Tagen in die Verbannung nach Kaschan geführt, wo er einen Teil der Gemächer des Staatspalastes angewiesen erhielt. Gleichzeitig erfolgte eine Verkündigung des Schah, welche besagte, daß Amire-nizam, wegen seines widerspenstigen Verhaltens ihm gegenüber, eine Strafzeit verbüßen solle und sein eigenmächtiges Handeln in verschiedenen wichtigen Dingen, welches die Sicherheit des Staates gefährdete, untersucht werden würde.

Obgleich man in Persien an derartig plötzliche Wandlungen und an ein derartig summarisches Verfahren der Herrscher gegen mißliebig gewordene Personen gewöhnt war, machte die Verbannung des großen Ministers ein ungeheures Aufsehen, und eine schwere, dumpfe Trauer legte sich ersichtlich über das ganze Land. Nur am Hofe, bei den Gesandtschaften und in den Kreisen der abgesetzten Gouverneure und Beamten triumphierte man.

*  *  *

An demselben Tage, da in Teheran der Vezier ins Gefängnis abgeführt wurde, fand die Unterredung Anymehs mit ihrem getreuen Freier Abdul Kerim im Obstgarten statt. Abends gelangte die Nachricht von dem unerhörten Ereignis am königlichen Hofe auch zu Anymehs Kenntnis. Auf sie übte die Kunde von dem jähen Wandel im Geschick des von ihr einst so heißgeliebten Mannes eine ganz eigentümliche Wirkung aus. Ihr Haß schmolz dahin und neue Hoffnung regte sich in ihrem Herzen. Entsetzt aller Würden, aller Macht entkleidet, verbannt, aus der Bahn seines wilden Ehrgeizes geworfen, würde er jetzt nicht wieder zärtlicheren Gefühlen zugänglich werden, würde er jetzt nicht des Mädchens gedenken müssen, das er selbst so unschuldig hatte leiden lassen?! Nach dieser Erniedrigung, so dachte Anymeh weiter, kann von seiner Verheiratung mit einer der Prinzessinnen keine Rede mehr sein; ich kann noch seine Frau werden, wenn er es will.

Plötzlich fuhr sie, als hätte sie einen bösen Geist erblickt, mit jähem Erschrecken auf. „Kerim!“ stieß sie angstvoll hervor. „Kerim! Er ist verzweifelt, unberechenbar; getrieben von seiner unsinnigen Leidenschaft, ist er imstande, auch an dem Verbannten zu thun, was ich ihm geheißen. Ich muß zu ihm, gleich, obwohl es schon Nacht wird, ich muß, ich muß!“ – So flüsterte Anymeh außer sich, rief einen Knecht, befahl ihm, ihr Pferd zu bringen, schwang sich hinauf und sprengte wild aus dem Hof, dem Ort Jmmamzade Kassim zu.

Der Weg war weit, es ging stets bergauf, und als die Perserin nach zwei Stunden scharfen Rittes das Gehöft des Beamten erreichte und den Vater Abdul Kerims nach seinem Sohne frug, erhielt sie die Auskunft, daß dieser gegen Mittag ganz unvermutet nach Teheran geritten und von dort noch nicht heimgekehrt sei. Es war Nacht geworden, und nach Teheran konnte das Mädchen jetzt ihm nicht folgen. Wie sollte sie ihn auch in der großen Stadt finden? Anymeh ritt im Sturme nach Hause zurück, wie eine Wahnsinnige, ruhelos irrte sie durch alle Gemächer des Hauses die ganze Nacht hindurch, sie rang die Hände, stöhnte, schrie auf, stand still, warf sich auf die Erde, sprang wieder empor und wanderte von neuem umher, von furchtbaren Phantasien verfolgt, rasend vor Verzweiflung.

Es vergingen Tage und Kerim war noch nicht nach Hause zurückgekehrt. Immer wieder sandte Anymeh Boten nach Immamzade Kassim und ließ nach dem Sohne des Hauses fragen. Dort konnte man sich das Thun des sonst so stolzen, zurückhaltenden Mädchens nicht erklären; daß Abdul Kerim in Geschäften nach Teheran reiste, war doch nichts ungewöhnliches. Dagegen erweckte

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