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zur Sommerresidenz zurück. Als er die Weiden des Flüßchens hintet sich hatte, wo er vom Hofe nicht mehr beobachtet werden konnte, nahm er das Nelkensträußchen, welches vor ihm niedergefallen und unzweifelhaft von dem schönen Mädchen für ihn bestimmt war, hervor und betrachtete es. – Die drei mit einem blauseidenen Faden zusammengebundenen Nelken hatten hierdurch Herzform, sie waren purpurrot, und dies bedeutete ein Herz voll Liebe. – Es war also ein Liebesgruß, den die schöne Tochter des reichen Bauern ihm hatte zukommen lassen. Wie entzückend sie ausgesehen hatte! Und dies Mädchen liebte ihn: Liebe war es gewesen, was sie damals so seltsam erbeben ließ, als er ihrem Blick beim Einritt in das Dorf begegnet war, jene Liebe auf den ersten Blick, welche die Dichter so oft geschildert haben, die den ganzen Menschen gefangen nimmt und die auch ihn damals mit süßem Schrecken ergriffen hatte. Ein beseligendes Glücksgefühl schwellte seine Brust. Und doch wurde ihm das Herz schwer, als er seine Lage weiter überdachte. Heiraten konnte er noch nicht. Er hatte bis jetzt noch keine sichere Stellung, er bezog keinen festen Sold. Er selbst war arm und besaß gar nichts. Sein Gönner, der junge Schah, machte ihm von Zeit zu Zeit Geschenke. Aber die Gunst der Könige ist wandelbar, und bei dem Intriguenkampf, der am Hoflager herrschte, der niemand verschonte und alle Verhältnisse bestimmte, konnte er über Nacht ohne Beruf und ohne jedes Einkommen sein. Wie hätte er es wagen dürfen, in einer derartig unsicheren Lage vor diesen reichen Bauern zu treten und um seine Tochter anzuhalten. Was konnte er dem Manne als Morgengabe bieten? Nichts als schöne Aussichten, die in ungewisser nebelhafter Ferne lagen. Dem Bauern schien zudem seine Person nicht angenehm zu sein, und der schlaue Alte mußte irgend etwas gemerkt haben, was ihm nicht gefiel, sonst hätte er ihn nicht so entschieden von seinem Hause ferngehalten. Das erwog Mirza Thagi, die Blumen in der Hand, langsam am Bache wandelnd, und er kam zu dem Entschluß, das schöne Mädchen zu meiden und dies entstehende Feuer zu dämpfen, bevor es zu spät war und die Flammen über sie beide zusammenschlugen.

Aber trotz dieses Vorsatzes und ungeachtet der sorgfältigen Beobachtung, mit welcher Ghulam Hussein seine Tochter umgab, geschah es dennoch, daß die beiden jungen Leute an einem kühlen Morgen, zu ungewöhnlich früher Stunde für Spaziergänge, in dem Weidenthal zwischen Niaveran und Kassim sich trafen.

Mirza Thagi grüßte Anymeh und Anymeh zog den Schleier etwas über ihr Gesicht und grüßte tief den Sohn des Küchenmeisters. Und Mirza Thagi blieb trotz der großen Vorsätze vor der schönen interessanten Bauerntochter stehen, ließ sein Buch, in welchem er dem Anschein nach eifrig gelesen hatte, sinken und begann ein Gespräch mit Anymeh. Mirza Thagi war gewiß ein geistreicher, tiefdenkender, außerordentlich gelehrter Mann, und trotzdem fing er, als wäre er der gewöhnlichste Sterbliche, von dem Wetter zu sprechen an. Er sagte nämlich: „Der schöne, liebliche Morgen hat wahrscheinlich dich, ehrsame Jungfrau, zu dem Bächlein herausgelockt, um die Kühle zu genießen.“

„So ist es, hochedler Herr,“ antwortete Anymeh.

„Der Ort hier ist so schön, als hätten ihn die Dichter erfunden zur Begegnung für Liebende,“ fuhr der junge Mann fort.

„Ihr sagt das Richtige, hoher Herr,“ erwiderte Anymeh, den Kopf senkend und den Schleier tiefer über ihr Gesicht ziehend.

„Du kennst solche Gedichte, edle Jungfrau?“ frug der Mirza erfreut.

„Ja, ich lese manchmal und verstehe etwas zu schreiben,“ versetzte darauf mit einigem Stolz Anymeh.

„Du –?“

„Ja, edler Herr, mein Vater hat auf mein Drängen mir einen Mullah aus Teheran kommen lassen, der mich unterwies.“

„Das ist erstaunlich,“ meinte Thagi.

„Wir können es, denn wir sind reich.“

„Das weiß ich.“

„Und ich habe keine Geschwister. – Mir fällt einst, wenn mein Vater aus dieser Welt geht – was Gott noch hundert Jahre verhüten möge! – der Hof und die Mühle zu,“ fuhr Anymeh fort.

„So wirst du es einmal gut haben,“ äußerte der junge Gelehrte nachdenklich.

„Und der, welcher mich zur Gattin wählt, gleichfalls,“ kam es leise von Anymehs Munde.

„Der Glückliche!“ ließ Mirza Thagi fallen.

Beide gingen jetzt schweigsam nebeneinander. Es war eine lange, schwüle Pause.

„Es haben schon viele um mich angehalten,“ nahm jetzt Anymeh das Gespräch wieder auf. „Die besten Söhne unserer Landschaft! Ich habe mich zu keinem entschließen können, weil für mich Bildung höher steht als Besitz und – ich auf die Sprache des Herzens höre – und dies hatte bisher immer geschwiegen,“ fügte Anymeh leise hinzu.

„Und schweigt es immer weiter?“ konnte der grundsatzfeste junge Mann nicht umhin, darauf einzuwerfen.

„Nein,“ antwortete das Mädchen kaum hörbar.

„Es hat für mich gesprochen, ich weiß es, edle Jungfrau!“ sagte der Mirza mit leuchtenden Augen.

„Es ist so, hoher Herr.“

Und Mirza Thagi ergriff die Hand Anymehs, führte sie zum Munde und küßte sie feurig.

„Hoher Herr, mein Vater ist gegen Euch!“ sprach jetzt Anymeh. „Er glaubt, daß wir der Verschiedenheit unseres Standes wegen nicht füreinander passen. Das glaubt er, er will mein Bestes und liebt mich sehr, aber er ist ein einfacher Mann, er weiß nicht, daß ich über den Stand eines gewöhnlichen Bauernmädchens weit hinaus bin, und er kennt die Macht der Liebe nicht, die stark wie der Tod ist und alle Unterschiede aufhebt. Aber wenn Ihr zu ihm kommt, hoher Herr, und mich als Gattin begehrt, wird er Euch nicht abweisen.“

„Ich bin arm, teures Mädchen, und kann ihm keine Morgengabe bieten – ich mag nicht wie ein Bettler erscheinen,“ versetzte darauf Mirza Thagi trübe.

„Wenn er über Eure Wahrhaftigkeit und Eure edlen Absichten im klaren ist, macht ihm das nichts. Ihr habt eine glänzende Zukunft, hoher Herr, das weiß ich so sicher, als die Sonne jetzt am Himmel steht, und wir können warten: es wird nicht lange währen, und Ihr steht auf der Höhe des Lebens, und Euch strömen Schätze zu. Das ist felsenfest!“

„Du hast ein großes Zutrauen auf meinen Glücksstern,“ meinte Mirza Thagi lächelnd.

„Das größte von der Welt, Herr,“ versetzte Anymeh mit ruhigem Gesichtsausdruck und leuchtenden Augen.

„Möge es so werden, wie du sagst! Als ich dich erblickk, fühlte ich, daß ich dich lieben müsse. Es sollte so sein, daß wir uns fanden, um einander anzugehören. Ich werde morgen zu deinem Vater kommen, um mit ihm zu sprechen.“

Anymeh schlug den Schleier zurück, der Mirza schloß die schlanke Gestalt in seine Arme und küßte Anymeh auf den Mund und auf die Augen. Dann schieden die Liebenden schnell, da die Morgenstunde schon vorgerückt war und es gegen alle gute Sitte und jedes Herkommen gewesen wäre, hätte man sie hier allein bei einander gesehen.

Am nächsten Morgen ließ der Schah dem Mirza Thagi sagen, daß er seine Gesellschaft für einen Spaziergang durch den „großen Garten“ – das war ein ziemlich entlegener Teil der Parkanlagen hinter dem Schlosse, wo diese in Platanenwäldchen und Wiesenhänge übergingen – wünsche und ihn bei dem letzten Theekioske erwarte. Die Stunde war sehr früh für das Leben am Hofe angesetzt.

Mirza Thagi fand sich an dem bezeichneten Platze ein, und bald sah er den jungen Schah durch den schnurgeraden, langen, im Gold der Früchte schimmernden Mittelgang der Orangenbäume herankommen. Zu seiner Verwunderung verabschiedete Nassr-Eddin jetzt mit einer Handbewegung gänzlich das Gefolge seiner obersten Hofchargen, die den Monarchen immer umgaben, die auch, wenn er allein gehen wollte, dem Ceremoniell nach stets in einer gewissen Entfernung ihm zu folgen hatten, und schritt langsam, den scharfgeschnittenen Kopf gesenkt, auf Mirza Thagi zu.

So ernst hatte der Mirza den jungen Herrscher noch nie gesehen – das mußte etwas zu bedeuten haben.

Nassr-Eddin erwiderte die tiefe Verneigung des Mirza mit einem freundlichen Winken der Hand; er wandte sich und schien sich überzeugen zu wollen, ob das Gefolge auch wirklich nicht in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0692.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2023)