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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

die Gemächer abgaben. Auch für Erleuchtung am Abend war, im Flur durch bunte Glaslaternen, gesorgt. In diesem Winterremter muß man sich die Zusammenkünfte denken, bei welchen die Gäste durch Musikanten und Liedsprecher angenehm unterhalten wurden. „Des Meisters Spielleute mit ihren Jungen“ waren stets zur Verfügung. Aber auch fremde, böhmische und andere Musikanten, einmal sogar „des Herzogs von Mailand Spielleute“, ließen sich hören. Selbst Lustigmacher, Narren, Gaukler und andere „Fahrende“ kehrten in der Burg ein und wurden zugelassen.

Der Konventsremter oder Rittersaal.

Es bleibt uns noch des Meisters großer oder Sommerremter zu bewundern. Er nimmt die ganze Breite des Palastes nach der Nogatseite hin ein und war wohl zu Repräsentationszwecken bei besonders ernsten und feierlichen Gelegenheiten bestimmt, nicht aber zum gewöhnlichen Gebrauch, zu dem er schon deshalb nicht geeignet war, weil er sich nicht heizen ließ. Niemand wird hier eintreten ohne ein Gefühl ehrfürchtigen Staunens und zugleich sonnigen Behagens. In der Mitte des Quadrats steht eine sich im Fundament verjüngende achteckige Säule von poliertem Granit; über einem schmalen Kapitäl steigen, sich langsam wie aus einem Kelch erweiternd, die Rippen des luftigen Sterngewölbes auf. Die Wände zwischen den Gewölbebogen sind fast nur Fenster nach drei Seiten hin. Es stehen immer zwei übereinander, das untere in der Vollwand meist dreiteilig und mit Querbalken, das obere im Gewölbeabschnitt schmäler und zweiteilig, übrigens sämtlich viereckig, woraus – doch nicht ganz überzeugend – geschlossen ist, daß dieser Teil des mittleren Schlosses zuletzt erbaut wurde. An eins dieser Fenster soll von dem verräterischen Polen die rote Mütze gehängt sein, auf welche der Büchsenmeister jenseit des Flusses zielen sollte, um den Pfeiler zu treffen. Eine Kugel steckt jedenfalls, wie erwähnt, noch heut’ in der jenseitigen Wand. Rundum laufen Bänke mit roten Polstern. Bei Sonnenschein schwimmt der schöne Raum förmlich in farbigem Licht. Es ist wahrscheinlich, daß auch hier in alter Zeit die Wände bemalt gewesen sind, aber es fragt sich doch, ob die Herstellung solchen Schmuckes nicht den ungemein feierlichen Eindruck, den das reine Weiß der Wölbung verursacht, schwächen würde.

Wir verlassen den großen Remter durch den Ausgang nach dem Flur und mögen nun noch aufs Dach hinaufsteigen, um uns bei einem Rundgang hinter dem Zinnenkranz an der weiten Ausschau über Fluß und Land zu erfreuen. Dann haben wir das Wesentlichste gesehen. Beim Rückwege durch die Stadt werden wir nicht unbemerkt lassen, daß die Häuser der langen Marktstraße im Erdgeschoß „Lauben“ haben, die gegeneinander offen sind. Schwerlich wird das Städtchen je wieder zu dem Wohlstand zurückgelangen, der es auszeichnete, als das Schloß hochmeisterliche Residenz war. Beim Aufhören der polnischen Herrschaft wurde festgestellt, daß mehr als die Hälfte seiner Häuser wüst lag. Jetzt hatte es bis vor kurzem ein recht freundliches Aussehen, als, wie schon erwähnt, ein furchtbarer Brand einen großen Teil der Stadt und leider auch viele alte Laubenhäuser nebst dem Rathause zerstörte, welches letztere aus der Bauzeit des Hochschlosses stammte.

Der Sommerremter.

Die Renovation des Schlosses ist noch nicht in allen seinen Teilen beendet. Es werden dazu noch erhebliche Geldmittel aufgewendet werden müssen. Auch für die würdige Ausschmückung und Ausstattung im Innern bleibt noch viel zu thun. Zwar wird es wohl niemals gelingen, uns die Ordenszeit ganz zurückzutäuschen. Es würde keinen Zweck haben, die sämtlichen zur besseren Verteidigung der Festung errichtet gewesenen Außenwerke, Gräben, Mauern und Türme wieder herzustellen, und es sind uns von der beweglichen Habe der Ordensritter zu wenig Stücke aufbewahrt, um damit auch nur einzelne Räume des großen Schlosses so einzurichten, daß sich daraus die Lebensweise ihrer damaligen Bewohner würde wiedererkennen lassen. Aber es ist doch höchst erfreulich, daß unserer Zeit herzustellen gelingen konnte, was vor hundert Jahren nicht einmal als eine Möglichkeit geträumt wurde. Der Kunstwert des alten Baues kam damals überhaupt kaum in Frage. Man hatte auch schon lange vorher nur noch darauf gedacht, wie man die großen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0687.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2023)