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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Gehen wir nun wieder zurück über die Brücke, um den Hochmeisterpalast zu besichtigen, der viel des Interessanten bietet. Es sollten hier Räume hergestellt werden, welche einer fürstlichen Haus- und Hofhaltung genügten. Denn der Verkehr in der Marienburg war in der Blütezeit des Ordens sehr rege. Nicht nur fanden sich hier oft die auswärtigen Gebietiger zu Beratungen und Entgegennahme von Befehlen ein, auch an Gesandtschaften fremder Staaten fehlte es nicht, und fast jährlich langten auswärtige Fürsten und große Herren an, sich bei den Kriegsreisen nach Litauen zu beteiligen und sich den Ehrentisch decken zu lassen. Sie brachten oft ein großes Gefolge mit und ließen sich von den Hochmeistern längere oder kürzere Zeit bewirten. So war jedenfalls ein großer Festsaal unentbehrlich. Er zeigt sich uns in dem großen Konventsremter (Rittersaal), der nebst der dazu gehörigen Küche den ganzen Nogatflügel des mittleren Hauses einnimmt. Er liegt zu ebener Erde und hat den Eingang vom Hofe. Das wunderbar schöne Sterngewölbe strahlt auch hier von drei schlanken Pfeilern aus, welche durch Kapitäle mit Figurenschmuck erhöht sind. Acht Spitzbogenfenster nach dem Flusse zu und sechs in der Hofwand spenden ihm reichliches Licht.

Der Speiseremter.

Der Fußboden ist mit bunten Fliesen ausgelegt. „Die gesamte gotische Baukunst hat,“ so sagt der schon erwähnte Sachverständige, „unter ihren tausenden edelster Bildungen kein Gewölbe hervorgebracht, welches an Leichtigkeit der Bildung, an Eleganz der Form, an schönem Verhältnis der Stützen zum Gestützten diesem Meisterwerke der Baukunst gleichkäme.“ Die jetzt weißen Wände muß man sich bemalt denken.

Eine Treppe in der starken Mauer führte zur Hinterkammer der Hochmeisterwohnung hinauf, so daß der hohe Wirt den Festsaal betreten konnte, ohne über den Hof gehen zu müssen. Hier schlossen sich die zum persönlichsten Gebrauch des Hochmeisters bestimmten, verhältnismäßig einfachen Räume an: ein schmales Schlafzimmer dicht neben der mit einem kleinen Vorraum versehenen Hauskapelle und andererseits neben den Kammern, welche für den zu seiner Gesellschaft bestimmten Bruder eingerichtet waren, der (man war nach der Ermordung Werners von Orseln vorsichtig geworden) Tag und Nacht in seiner Nähe sein mußte; ferner, schon auf der anderen Seite vom Palastflur, ein zweisäuliges Wohnzimmer und des Meisters Stübchen. Dieser Flur mit schmälerem Korridor, auf ein buntglasiges Fenster nach der Nogat zu auslaufend, das schwere Kreuzgewölbe von drei gekuppelten Granitsäulen und einigen freistehenden Säulen von ungleicher Höhe getragen, ist eine höchst originelle Schöpfung des unbekannten Baumeisters. In einer seitlichen Fensternische befindet sich der tiefe Brunnen mit „Handfaß“ zum Waschen. Sechs Knechte waren angestellt, stets das erforderliche Wasser aufzuwinden. An den Wänden hängen Rüstungen aus der Ordenszeit.

Die Konventstube.

Von diesem Flur, aber auch aus des Meisters Stübchen gelangt man in des Meisters Winterremter, ein größeres quadratisches, ebenso schön als einfach über einer Säule gewölbtes Gemach mit vier Fenstern auf den trockenen Graben hin, welches man sich als den Salon der Wohnung zu denken hat. Es war, wie auch einige der anderen Wohnräume und der Konventsremter, durch Luftheizung im Winter zu erwärmen. Die Vorrichtung dazu befand sich im unteren Geschoß oder Keller, wo die Feuerung in einem engen Herdraum eingeschlossen war, über welchem sich ein mit Feldsteinen vollgepacktes Zwischenlager ausstreckte, die nun die Wärme längere Zeit festhielten und gleichmäßig durch schließbare Oeffnungen im Fußboden in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0686.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2023)